Entwicklungshilfe für Wasserprojekte: Wohin das Geld fließt
Deutschland ist einer der größten Geldgeber für Wasserprojekte weltweit. Eine taz-Datenanalyse erkundet, ob die Milliarden bei den Richtigen ankommen.
V on dem Geld wurde die Wasserversorgung einer Grundschule in Nigeria bezahlt. Es ging in Dachwassertanks, sparsame Wasserhähne und Toiletten in jordanischen Gemeinden, die viele Flüchtlinge aufnehmen. Es fließt in Förderkrediten nach Mexiko, um die Wasserbehörde bei ihren Reformen zu unterstützen.
Mehr als eine Milliarde Euro sagt Deutschland jedes Jahr für Wasserprojekte weltweit zu. Die Bundesrepublik ist in diesem Bereich eines der wichtigsten Geberländer der Welt. Aber geht dieses Geld auch an die, die es am meisten brauchen?
Um diese Frage zu beantworten, hat die taz in einer großen Datenrecherche genauer analysiert, wohin die deutschen Gelder aus der Entwicklungszusammenarbeit zum Thema Wasser zwischen 2002 und 2019 flossen. Dafür wurden Datensätze der OECD von über 100 Ländern aufbereitet, neu berechnet und mit anderen Daten – etwa zu Wassermangel und dem Zugang zu sauberem Trinkwasser – ins Verhältnis gesetzt.
Die Daten werfen wichtige Fragen auf: Warum bekommen die ärmsten Länder nicht die meisten Gelder? Warum gibt es Länder mit großer Wassernot, in die kaum Finanzierung fließt? Warum werden so häufig Mega-Projekte gefördert?
Die Beantwortung dieser Fragen erzählt nicht nur etwas über die weltweite Wasserkrise. Sie zeigt auch beispielhaft, wie komplex die Vergabe von Geldern in der Entwicklungszusammenarbeit funktioniert. Denn darüber, ob und wohin Geld fließt, entscheidet nicht nur der Fakt, wie dringend es gebraucht wird. Aktuelle Krisen spielen genauso eine Rolle wie historische diplomatische Verbindungen.
Bei der Frage, ob die Finanzierung von Projekten im Bereich Wasserversorgung gelingt oder nicht, geht es nicht nur um Zahlen, sondern um Leben. Wenn die Unterstützung nicht zunimmt, rechnet die UN aus, dann mangelt es im Jahr 2030 wohl immer noch 1,6 Milliarden Menschen an sicherem Trinkwasser.
Die internationale Gemeinschaft hat sich als Teil ihrer Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 auch einen Wasservorsatz vorgenommen. Ziel 6 ist: sauberes Wasser und Sanitärversorgung für alle.
Doch dafür müssen sehr viele Länder sehr viel mehr Mittel aufbringen. In einem Bericht der Vereinten Nationen zum Zwischenstand bei diesem Ziel heißt es: „Zwanzig Länder und Gebiete meldeten eine Finanzierungslücke von 61 Prozent zwischen dem identifizierten Bedarf und den verfügbaren Geldern.“ In vielen betroffenen Regionen fehlt also Geld. Viel Geld.
Der Klimawandel verschärft die Lage. Die Weltwetterorganisation WMO hat Anfang Oktober gewarnt, dass sowohl Überschwemmungskatastrophen als auch Trinkwassermangel weltweit schlimmer würden. „Wir müssen aufwachen und uns dieser drohenden Wasserkrise stellen“, sagte Generalsekretär Petteri Taalas.
Nimmt Deutschland das Thema Wasser ernst genug?
Schaut man sich die Gelder genauer an, die Deutschland in den vergangenen Jahren in Wasserprojekte weltweit gesteckt hat, so sieht es zunächst so aus, als gehöre die Bundesrepublik zu den Ländern, die die wachsende Dringlichkeit des Themas verstanden haben.
Schließlich ist Deutschland eines der wichtigsten Geberländer für den Wassersektor. In vielen der vergangenen Jahre wechselte sich die Bundesrepublik mit Japan auf den ersten beiden Spitzenplätzen der Geber für bilaterale Projekte ab.
Und die Summen, die jährlich für den Wassersektor eingeplant werden, wuchsen in der Tendenz. Im Jahr 2003 sagte die Bundesrepublik rund 431,2 Millionen Dollar zu. Zehn Jahre später überstiegen die zugesagten Wassergelder schließlich sogar eine Milliarde – 1,3 Milliarden US-Dollar verplante Deutschland im Jahr 2012. Ab 2017 blieb sie immer über der Milliardenmarke.
Aber: Die Gelder, die Deutschland in die Entwicklungszusammenarbeit steckt, nehmen in dem Zeitraum allgemein zu. Das hat unter anderem damit zu tun, dass auch bestimmte Kosten für Flüchtlinge im eigenen Land als Entwicklungsgelder verbucht werden dürfen und dieser Wert 2015 plötzlich stark wuchs. 2016 etwa wurden nach Berechnungen der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages 25 Prozent der gesamten Entwicklungsgelder Deutschlands im eigenen Land ausgegeben.
Blick man also auf die Wichtigkeit des Wassersektors prozentual – im Vergleich zu dem Rest der Gelder –, so sieht man, dass er auf einem relativ niedrigen Niveau von meist unter 10 Prozent dümpelt. Das Thema wird also über die Zeit nicht wichtiger im Vergleich zu anderen.
Empfohlener externer Inhalt
Wissenschaftlerin Annabelle Houdret vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik beobachtet, wie Deutschland sich im Wasserbereich engagiert. Sie schätzt Wasser als zentrales Thema für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ein.
Neben der Erderhitzung könnte nun ein weiterer Effekt dazu beitragen, dass die Wasserkrise an Relevanz gewinnt. Durch die Pandemie, so Houdret, habe sich auch ein neues Bewusstsein für die Wichtigkeit von Wasserthemen gebildet. „Ich glaube, Corona hat nun stark hervorgehoben, wie dringend es ist und wie schlimm, dass Leute sich zum Beispiel in Warteschlangen öffentlicher Versorgungspunkte anstecken, wenn sie keinen Wasseranschluss zu Hause haben.“
Bekommen die Länder mit dem größten Wassermangel das meiste Geld?
Unter den Ländern, die die meisten Gelder erhalten, sind viele mit hohem Wasserstress. Der Begriff bezeichnet, in welchem Verhältnis der Verbrauch eines Landes zu den dortigen Wasservorkommen steht. Länder mit extremem Wasserstress verbrauchen jährlich mehr als 80 Prozent ihrer verfügbaren Ressourcen.
Empfohlener externer Inhalt
Besonders betroffen von Wassermangel: Der Nahe Osten und Nordafrika, die sogenannte Mena-Region. Sie gilt als die wasserärmste der Welt – und ist eine der wichtigsten Empfängerregionen für deutsche Entwicklungsgelder im Wasserbereich.
Erstellt man eine Top 10 der Empfängerländer von deutschen Zahlungen zwischen 2002 und 2019, liegen mit Jordanien, Tunesien, Marokko, Westjordanland und Gazastreifen sowie Ägypten die Hälfte der Staaten dieser Rangliste im Nahen Osten oder Nordafrika.
Empfohlener externer Inhalt
Deutschland finanziert hier zum Beispiel die Wasserversorgung für syrische Flüchtlinge und ihre aufnehmenden Gemeinden mit Zuschüssen. Jordanien ist eines der Länder der Erde, in denen weltweit die meisten Flüchtlinge untergebracht sind. Ende Mai diesen Jahres zählte das UNCHR rund 755.000 Flüchtlinge im Land, von denen 667.000 aus dem Nachbarland Syrien kamen. Damit sind etwa 10,5 Prozent der Bevölkerung des Landes Flüchtlinge.
Über die Jahre ist Jordanien das Land, das die meisten der deutschen offiziellen Entwicklungsgelder im Wasserbereich bekommt. Darunter fallen vor allem Kredite, aber auch Zuschüsse. Nach unseren Berechnungen summieren sich die Gelder von 2002 bis 2019 insgesamt auf rund 968 Millionen US-Dollar.
Warum bekommen einige wasserarme Länder kaum Geld?
Es gibt einige Länder, die unter extremem Wasserstress leiden und trotzdem wenig oder kein Geld von Deutschland in diesem Bereich bekommen: Libanon, Iran, Libyen, Eritrea, Pakistan, Turkmenistan und Botswana.
Für diese blinden Flecken der Zusammenarbeit gibt es unterschiedliche Gründe. Ob die Regierung sich zu Reformen bereit zeigt, ist ein Grund. Wie der Empfängerstaat seine Bürger*innen behandelt, ein anderer.
„Nicht alle Staaten sind Partnerländer der staatlichen deutschen Entwicklungszusammenarbeit“, erklärt das Entwicklungsministerium auf taz-Anfrage. „Dies ist zum Beispiel für den Iran der Fall – unter anderem wegen gravierender Defizite im Bereich Achtung der Menschenrechte.“
Empfohlener externer Inhalt
Menschenrechtsorganisationen stellen dem Iran, aber auch Eritrea und Turkmenistan, regelmäßig ein katastrophales Zeugnis aus. Der Rechtsstaatlichkeitsindex des Global Justice Projects sieht den Iran in seinem Ranking nur auf Platz 119 von 139 – bei den Grundrechten sieht die Organisation das Land sogar auf dem letzten Platz der Länderliste.
Allerdings: Der Iran teilt sich die letzten Ränge hier mit China (Platz 136) und Ägypten (Platz 138). Beiden Ländern werden ebenfalls Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen – Deutschland lässt ihnen trotzdem große Summen zukommen.
Wie viel Geld ein Land bekommt und in welchem Bereich, hängt also grundsätzlich stark von den diplomatischen Verbindungen ab – konkret von dem Fakt, ob ein Staat von der Bundesrepublik als Partnerland angesehen wird.
Das Bundesentwicklungsministerium hat im vergangenen Jahr ein neues Reformkonzept vorgestellt, wie Partnerländer für direkte staatliche Zusammenarbeit definiert werden. Unter Kritik von Nichtregierungsorganisationen, denn der Ansatz ist: Die Zahl der Länder soll weiter reduziert werden. Deutschland will in noch mehr Ländern aus der Zusammenarbeit aussteigen.
Gehen deutsche Gelder auch in Kriegsländer?
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan Mitte August dieses Jahres stellte Deutschland die staatliche Entwicklungszusammenarbeit zunächst ein.
Ein Weg, die Bevölkerung trotzdem weiter zu unterstützen, ist die Förderung über multilaterale Organisationen wie die UN. Im Fall von Syrien unterstützt Deutschland die Flüchtlinge des Landes auch in verschiedenen Nachbarländern.
Empfohlener externer Inhalt
In Syrien hatte Deutschland noch in den Jahren 2008 und 2009 rund 77,58 und 80,39 Millionen US-Dollar im Wassersektor zugesagt. In den nachfolgenden Jahren floss nach Beginn des Bürgerkrieges nur noch ein kleiner Teil.
2011 hatte das Entwicklungsministerium wegen der Krise die Entwicklungsarbeit offiziell weitgehend suspendiert. Seitdem wurde sie nie wieder aufgenommen, betont eine Ministeriumssprecherin: Es bestünden „keine Beziehungen“ des Ministeriums zur syrischen Regierung.
Aber: Das heißt nicht, dass kein Geld fließt. Aufgrund der Notlage unterstütze das Ministerium weiterhin Maßnahmen in Syrien zum Wiederaufbau der vom Bürgerkrieg stark beschädigten Trink- und Abwasserinfrastruktur. „Der Schwerpunkt dieser Maßnahmen liegt auf den Gebieten in Nordwest- und Nordostsyrien, die der militärischen und administrativen Kontrolle des syrischen Regimes entzogen sind.“ Dabei werde ausschließlich mit den Vereinten Nationen und der syrischen Zivilgesellschaft zusammengearbeitet, so eine Sprecherin.
Wo hört eine Zivilgesellschaft auf, wo fängt ein Regime an? Eine solche Grenze ist in einem Kriegsland schwer zu ziehen. So sind zum Beispiel auch kommunale Wasserversorger in die Projekte in Syrien eingebunden, wie das Ministerium auf Nachfrage bestätigt.
Warum fließt so viel Geld nach China?
China ist ein Land, das für die Menschenrechtssituation vor Ort kritisiert wird. Und gleichzeitig ist es für deutsche Entwicklungsgelder im Wasserbereich über die Jahre der zweitgrößte Empfängerstaat. Das Verhältnis ist kompliziert: China sei für „die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zugleich Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“, heißt es in einem Positionspapier des Bundesentwicklungsministeriums.
Der Staat bekam und bekommt in großem Ausmaß Entwicklungsgelder – und hat sich gleichzeitig selbst über das vergangene Jahrzehnt zum Geberland gewandelt.
Empfohlener externer Inhalt
In afrikanischen Ländern stößt das Land mit großen Investitionen wichtige Infrastrukturprojekte an. Die Leistungen Chinas in der Entwicklungszusammenarbeit sind aber auch umstritten – kritisiert wird, dass es China nicht interessiere, ob dabei in den Partnerländern Menschenrechts- und Umweltstandards eingehalten würden. Andere mahnen, dass Empfängerländer durch die Kreditkonditionen Chinas in der Schuldenfalle landeten.
Das Forschungszentrum AidData hat über Jahre Daten zu Entwicklungsfinanzierung aus dem Staat zusammengetragen. Sie beziffern die gesamten Entwicklungshilfe-ähnlichen Zahlungen aus China in allen Bereichen zwischen 2000 und 2017 auf 101 Milliarden US-Dollar (ungefähr 87 Milliarden Euro) – noch viel mehr gibt das Land aber für andere Arten von Krediten an Entwicklungsländer aus. Die beiden größten Empfängerländer sind nach der Analyse von AidData Irak und Nordkorea.
Das Land verbraucht jährlich 20 bis 40 Prozent seiner Wasservorkommen und hat damit mittelhohen Wasserstress. Neue Zuschüsse aus dem Etat des Entwicklungsministeriums gibt es für das Land seit mehr als zehn Jahren nicht mehr: „Es gab sowohl in der finanziellen als auch in der technischen Zusammenarbeit im Wassersektor in China keine Neuzusagen mit Haushaltsmitteln nach 2009“, so eine Sprecherin des Entwicklungsministeriums. Auch mit zwei neuen Verträgen danach sollten nur alte Zusagen erfüllt werden.
Was es aber weiterhin gibt, sind Förderkredite. Zum Beispiel unterstützt Deutschland über einen Kredit der KfW-Entwicklungsbank ein Projekt in der Stadt Yangzhou im Osten Chinas, wo eine Kläranlage um- und ausgebaut werden soll. Die Kreditsummen sind teils üppig: 2019 etwa hat die Bundesrepublik mit insgesamt rund 230 Millionen US-Dollar (etwa 198 Millionen Euro) eine außergewöhnlich hohe Summe zugesagt.
Die bürokratischen Rädchen der Entwicklungszusammenarbeit sind nicht die schnellsten. Und im Falle von China drehten sie sich noch weiter, als das Land eigentlich schon in eine andere Rolle hineingewachsen war.
Warum bekommen manche Länder mit wenig Wasserstress viel Geld?
Es gibt mehrere Länder, die schwachen bis mittleren Wasserstress haben und trotzdem in der Vergangenheit vergleichsweise viel Geld bekommen haben: Tansania, Vietnam, Kenia und Sambia sind darunter. Sie bekamen jeweils über die Jahre mehr als 200 Millionen US-Dollar.
Das heißt allerdings nicht, dass das Geld dort falsch gelandet wäre. Teilweise ist Wasser innerhalb des Landes so ungleich verteilt, dass es wasserarme Regionen oder starke lokale Dürren in eigentlich wasserreichen Ländern gibt. In einem Land mit guten Wasserressourcen kann es durch mangelnde Infrastruktur trotzdem dazu kommen, dass sauberes Trinkwasser oder Zugang zu sanitärer Versorgung fehlt.
Uganda ist ein gutes Beispiel: Deutschland ist einer der wichtigsten bilateralen Geber für das ostafrikanische Land und im Wasserbereich sogar der größte. Zwischen 2002 und 2019 flossen aus Deutschland insgesamt 201,81 Millionen US-Dollar.
Empfohlener externer Inhalt
Immer wieder leiden Teile des Landes unter Dürren. Aufgrund dessen sind nach Zahlen der Weltbank mehr als 10 Prozent, ungefähr 4,5 Millionen Menschen, jährlich von Wassermangel betroffen. 2017 stürzte eine Dürre etliche Ugander*innen in die Not, etwa eine Million benötigte demnach dringende Ernährungshilfen.
Außerdem mangelt es an grundlegender Versorgungsinfrastruktur: So haben nach Daten von WHO und Unicef nur 17 Prozent der Bevölkerung stetigen Zugang zu sauberem und sicherem Trinkwasser auf dem Grundstück. 39 Prozent müssen bis zu 30 Minuten laufen und womöglich Schlange stehen, um sich zu versorgen. Andere müssen noch längere Strecken zurücklegen, vielleicht Wasser aus einer ungesicherten Quelle oder gar Oberflächenwasser trinken, etwa aus Flüssen, Seen, Kanälen.
Bekommen die ärmsten der betroffenen Länder am meisten?
Der Zugang zu Wasser ist global höchst ungleich verteilt: 70 Prozent der Menschen in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara mangelt es an sicherem Trinkwasser. In dieser Region liegen auch die meisten der sogenannten „am wenigsten entwickelten Länder“. 34 von 46 Staaten weltweit zählt die UN in diese Kategorie.
Empfohlener externer Inhalt
Das meiste Geld im Wassersektor fließt jedoch an die Länder, denen es schon vergleichsweise besser geht. Das wird beim Blick auf die verschiedenen Einkommensgruppen klar, in die das Geld in den vergangenen Jahrzehnten floss.
Der größte Teil der Investitionen ging an die Länder mittleren Einkommens. Damit setzt sich im Wassersektor fort, wofür Deutschland in der jüngeren Vergangenheit auch insgesamt kritisiert wurde: nicht genug seiner Entwicklungsgelder an die Ärmsten zu geben.
So schreibt der Entwicklungshilfeausschuss der OECD (DAC) in seinem letzten Prüfbericht, Deutschland sei zwar seit 2016 unter den im DAC organisierten Ländern der zweitgrößte Geber, der für die Leistungen an die am wenigsten entwickelten Länder gesetzte Zielwert von 0,15 Prozent des Bruttonationaleinkommens sei jedoch noch nicht erreicht. 23 Prozent der bilateralen Entwicklungs-Bruttoleistungen „bestehen aus Krediten, die fast alle an Länder der mittleren Einkommensgruppe gehen“.
Gefördert durch das European Journalism Centre (EJC) mit Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation folgt die taz ein Jahr lang dem Wasser. Fünf taz-Korrespondentinnen recherchieren in Lateinamerika, Westasien, Südasien und in Afrika entlang des Nils. Denn vor allem im Globalen Süden gibt es zu wenig oder kein sauberes Wasser. Besonders Frauen müssen jeden Liter über weite Strecken nach Hause tragen. Der Zugang zu Wasser wird mit der Klimakrise verschärft. Immer öfter wird Wasser privatisiert oder steht im Konflikt mit Großprojekten, die Fortschritt bringen sollen. Mehr unter taz.de/wasser
Das Entwicklungsministerium scheint auch nicht wirklich etwas zu unternehmen, um das zu ändern – jedenfalls unternimmt es keine Schritte, die dem entgegenstehen könnten. Das schreibt die Welthungerhilfe in einer Bewertung des Reformkonzepts 2030.
Auch Expert*innen im Wassersektor fordern von der Bundesrepublik, mehr Mittel gezielter für arme Menschen auszugeben. So etwa das Wash-Netzwerk, eine Initiative deutscher Nichtregierungsorganisationen, die zu Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene arbeiten – diesen Dreiklang nennen die Fachleute kurz: Wash.
Im Sinne des in den UN-Entwicklungszielen zentralen Versprechens, niemanden zurückzulassen, sollten mindestens 50 Prozent der im Wash-Bereich investierten Mittel „für die Ärmsten der Armen bereitgestellt werden – zur Unterstützung einer schrittweisen Realisierung der Menschenrechte auf Wasser- und Sanitärversorgung“, heißt es in einem Positionspapier.
Aber wer sind die Ärmsten der Armen?
„Da sind wir beim Punkt – dass es nämlich keine besonders verlässliche Messung von Seiten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gibt, wo welche Mittel hinfließen und welche Bevölkerungsgruppen davon profitieren“, sagt Johannes Rück, Koordinator des Netzwerks.
Zum einen könne man auf die Zielländer blicken: Jordanien, China, Tunesien, Marokko und Mexiko etwa seien Partner der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, in denen Strukturen für eine Kooperation historisch gewachsen und somit womöglich machbarer seien als in anderen Staaten. „Aber das sind nicht die am wenigsten entwickelten Länder, bei denen man sagen könnte: Hier erreicht man Menschen, die aller Wahrscheinlichkeit nach in extremer Armut leben.“
Zum anderen sei es aber auch die Art des unterstützten Projekts sowie der Ort wichtig: „Einen großen Teil des Geldes investiert Deutschland in die größeren zentralen Systeme, die leitungs- oder kanalgebunden sind, wie etwa organisierte Abwasserbehandlungen, Kläranlagen und so weiter“, sagt Rück. „Die sind in der Regel in den städtischen Zentren beheimatet, wo im Allgemeinen eher Menschen leben, die schon der extremen Armut entkommen sind.“
Aus einem Weltbankbericht
Er wolle nicht vorwerfen, dass nur Reiche adressiert werden, sagt Rück. Er weist aber auf einen Weltbankbericht aus dem Jahr 2019 hin, der zumindest darauf hindeutet, dass nicht nur deutsche Gelder, sondern Subventionen im Wasserbereich generell eher Wohlhabenden zugute kommen. „Das war eine gewisse Bombe im Wassersektor.“
Die Autor*innen des Berichts gehen nach einer Analyse von zehn Entwicklungsländern davon aus, dass 56 Prozent der Beihilfen im Wasserbereich den wohlhabendsten 20 Prozent der Bevölkerung zugutekommen. Demnach entfallen nur sechs Prozent der Subventionen auf die ärmsten 10 Prozent.
Dem Bericht zufolge werde mit den meisten Subventionen zwar beabsichtigt, dass die erschwingliche Versorgung mit Wasser und sanitären Anlagen für Arme gesichert werde. Aber am Ende profitierten oft relativ bessergestellte Haushalte, die bereits über Anschlüsse an die Wasser- und Sanitärinfrastruktur verfügten. „Die Ärmsten der Armen“, denen es im Allgemeinen an Zugang zu der vernetzten Versorgung mangele, blieben übrig – ohne ihr Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser, folgern die Autor*innen.
„Angesichts der Tatsache, dass die meisten Subventionen teuer, wenig zielorientiert, intransparent und verzerrend sind, ist es dringend notwendig, dass politische Entscheidungsträger*innen überdenken, wie derzeitige Ausgaben funktionieren, und vorhandene Ressourcen sorgsam ausrichten, um die größte Wirkung zu haben“, schreiben sie.
Warum fließt so viel Geld in Großprojekte?
Das meiste deutsche Geld fließt in Megaprojekte – in große Systeme, also umfangreiche Vorhaben etwa im Bereich von Kanalisation und Leitungen. Eine einfache Latrine etwa fällt nicht darunter, sondern Projekte wie der Bau von Kläranlagen, Wasserfernleitungen und von Meerentsalzungsanlagen.
Kann das Hilfe für die Ärmsten der Armen sein oder steckt dahinter der Wunsch nach Großprojekten, an denen dann möglicherweise wieder deutsche Ingenieur*innen und Unternehmen beteiligt werden?
Empfohlener externer Inhalt
„Große Systeme stellen die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung einer Ortschaft durch ein Netz sicher, an das die Einzelhaushalte angeschlossen werden. Die grundlegenden Systeme versorgen hingegen meistens mehrere Haushalte auf einmal“, schreibt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in einem Papier dazu und führt weiter aus: „Die Pro-Kopf-Kosten der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung über große Systeme betragen ein Mehrfaches der Kosten für grundlegende Versorgung.“
Es wäre natürlich nicht besser, nun nur noch Wasserkioske und Latrinen zu unterstützen, weil diese als grundlegende Versorgung billiger sind. Doch die Frage bleibt: Wie viele Menschen lässt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit ihren derzeitigen Investitionen zurück?
Die OECD veröffentlicht jedes Jahr, wie viel Geld Geberländer für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben – die ODA (Official Development Assistance). Auf diese Daten haben wir für diese Recherche und die grafische Umsetzung zurückgegriffen. Die hier untersuchten Mittel sind bilaterale Gelder. Ab 2018 änderte die OECD ihre Berechnungsmethode für Auszahlungen – zur besseren Vergleichbarkeit haben wir die Daten ab 2018 nach der früheren Methode berechnet.
Das Wasserstress-Ranking stammt von der Umweltdenkfabrik World Resources Institute. Hier haben wir noch einmal genau aufgeschrieben, wie wir vorgegangen sind und welche Details bei den einzelnen Datenquellen zu beachten sind.
Das Einzelprojekt mit dem größten Finanzvolumen liegt in Marokko, dem drittgrößten Empfängerland. Hier sagte Deutschland im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums 2013 einen riesigen Förderkredit über rund 271,5 Millionen Dollar zu, damals umgerechnet etwa 200 Millionen Euro, für die Wasserstrategie der staatlichen OCP Group, die zuletzt einen Jahresumsatz von umgerechnet ungefähr 5,31 Milliarden Euro vermeldete.
Marokko ist außerordentlich reich an Phosphatvorkommen, so verfügt die OCP Group nach eigenen Angaben über den Zugang zu 70 Prozent der weltweiten Phosphatreserven. Trotzdem befand Deutschland das Ganze als so förderungswürdig, dass es sich für einen vergünstigten Kredit aussprach.
Doch die Zusammenarbeit mit Marokko entwickelt sich für Deutschland zur Blamage: Marokko ist zwar einer der gehypten „Reformpartner“ des Entwicklungsministeriums – ein Staat, den das Ministerium für besonders reformorientiert hält und deswegen stärker unterstützt.
Empfohlener externer Inhalt
Aber die gesamte Kooperation ist derzeit völlig in der Schwebe. Im März 2021 hat die marokkanische Regierung Berlin nämlich abserviert: Die Bundesregierung erfuhr aus den Medien, dass die marokkanische Regierung entschieden hatte, einseitig sowohl die Beziehungen zur deutschen Botschaft in Rabat als auch zu den Organisationen und politischen Stiftungen abzubrechen. Hintergrund dürfte die Haltung der Bundesregierung sein, das umkämpfte Territorium Westsahara nicht als marokkanisches Staatsgebiet anzuerkennen.
Seit März 2021 ruhen deswegen nach Aussage des Ministeriums die meisten Projekte oder sie sind verzögert. Große Systeme sind anfällig für große Probleme.
Mitarbeit: Luise Strothmann
Francesca Morini ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am UCLab der FH Potsdam, mit dem die taz für die Visualisierungen kooperiert hat. Ihre Arbeit an den Grafiken ist Teil des VIDAN-Forschungsprojekts, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und in Kooperation mit der civity Consulting Group gefördert wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge