Entwickler über Zukunft der Suchmaschinen: "Google ist Jäger. Wir sind Sammler"
Der eyePlorer will eine Denkmaschine für die nächste Generation sein. Ein Internetsuchdienst, der nicht Schlagwörter liefert, sondern Felder mit Assoziationen.
taz: Herr Hirsch, die Fähigkeiten von Suchmaschinen sind heute eher bescheiden: Der Nutzer gibt ein Schlagwort ein und erhält eine Liste mit Quellen, in denen diese Schlagwörter eine Rolle spielen. Was stört Sie daran?
Martin Hirsch: Suchmaschinen übernehmen bislang die Funktion von Bibliothekaren. Sie weisen mir den Weg zu all jenen Angeboten, die mich in Zusammenhang mit meiner Suche interessieren könnten. Es gibt keine Einordnung, keine Hilfestellung, keine Auslese. Was aber, wenn ich nicht nur einen Wegweiser zu den Quellen möchte, sondern auch jemanden, der sie gelesen hat? Eher einen Professor also als einen Bibliothekar?
An intelligenten, sogenannten semantischen Suchmaschinen wird seit Jahren geforscht. Es geht dabei um die Frage, ob es eines Tages gelingen kann, auf präzise Fragen im Internet auch präzise Antworten zu finden.
Bis man in der Lage sein wird, Klartextfragen auch im Klartext zu beantworten, kann noch eine Menge Zeit vergehen. Zunächst einmal muss nämlich ein vernünftiges Konzept zu der Frage entwickelt werden, was Bedeutung überhaupt ist und wie sie in Maschinen repräsentiert werden kann.
Das müssen Sie erklären.
Nehmen sie Google. Da gebe ich im Suchfeld den Begriff Dopamin ein. Was soll die Maschine mir jetzt erzählen? Wie es entsteht, wie es wirkt, welche Funktion es im Gehirn hat? Information entsteht im Empfänger - und Bedeutung entsteht im Dialog. Einzelne Wörter sind also nur sehr wenig semantisch. Deswegen kann man von solch einer Maschine auch nicht erwarten, dass sie semantisch antwortet.
Es liegt an meiner Grundhaltung, die ich gegenüber meiner Maschine einnehme?
In gewisser Weise ja. Ich muss nämlich schauen, dass ich mit der Maschine in einen Dialog komme. Das geht nicht, indem ich ihr einfach nur ein Schlagwort hinwerfe. Ich muss meine Anfrage in einen Kontext einbetten. Beispiel: Was passiert in Ihrem Kopf, wenn ich Sie auffordere, über das Wort "Apfel" nachzudenken?
Mir fallen die wurmstichigen Äpfel aus dem Garten meiner Großmutter ein oder die Firma Apple, ihr genialer Chef Steve Jobs, sein Rückzug aus der Firma, der anschließende Einbruch der Aktie, die Wirtschaftskrise.
Was haben Sie in diesem Moment getan?
Ich habe assoziiert?
Das Gleiche tut auch der eyePlorer. Er liefert erst mal ganz heterogene Assoziationen in Ihre Schlagwortsuche hinein. Bestimmen tun Sie dann per Mausklick auf einer schönen Benutzeroberfläche, was davon Sie näher interessiert oder auch, was nicht.
In Ihrem Modell geht es auch um künstliche Intelligenz. Wo kommt sie genau ins Spiel?
Nehmen Sie den Begriff "wissen" und fragen Sie sich einmal, was genau er eigentlich bedeutet.
Nun, je nachdem, ob man das Verb oder das Nomen meint, ändert sich die Bedeutung …
Exakt. Die Verbform beschreibt einen Vorgang, das Nennwort hingegen einen Zustand. Bevor ich mich aber im Zustand des "Wissens" befinde, muss ich einen Prozess durchlaufen, der mich in diesen Zustand bringt. Das Lernen, das Abrufen und das Aktivieren gespeicherter Informationen hat in meinem Unterbewusstsein längst stattgefunden, bevor ich sagen kann: "Ich weiß". Wenn ich aber weiß, muss ich nicht mehr denken, weil ichs ja weiß. Kaum weiß ichs aber nicht mehr, muss ich anfangen, auf der Basis dessen, was ich weiß, neues Wissen zu generieren. Dieser Vorgang heißt denken.
Was hat die Genese des Wissens mit der Kompetenz von Suchmaschinen zu tun?
Worauf ich hinauswill: Wissende Maschinen sind nicht unbedingt intelligent. Auf Google trifft das zu, denn das System reagiert reflexhaft. Intelligenz kommt erst dann ins Spiel, wenn ich die Maschine mit etwas konfrontiere, das sie nicht weiß, sodass sie anfangen muss, ihr Wissen neu zu organisieren. Was macht nun der Mensch, wenn er auch durch Denken nicht auf die Lösung kommt? Er unterhält sich mit anderen Wissenden. Wissen, denken, kommunizieren: Das sind die drei großen Pfeiler der Bedeutung, und um diese drei Pfeiler muss man sich kümmern, wenn man eine intelligente Suchmaschine bauen will.
Was bedeutet eyePlorer in diesem Zusammenhang?
Mit dem Auge Wissen erkunden. Wir projizieren den dreidimensionalen Raum des Wissens auf eine zweidimensionale Scheibe, den eyePlorer, auf der sich der Nutzer durch Klicken, Verschieben, Bearbeiten und andere Aktivitäten bewegen kann. Durch die Art der Benutzung wird Wissen vom Nutzer entdeckt, aber auch modelliert. Durch eine Kombination aus Beobachtung und Rechenleistung können wir ziemlich genau nachvollziehen, was in seinem Kopf vorgeht.
Aber will man das eigentlich: sich von einer Maschine beraten lassen?
Das tun Sie doch schon, indem Sie zum Beispiel Wikipedia benutzen. Es ist ja nicht unser Ansinnen, die Maschine mit ihrem Wissen allein zu lassen. Der Dialog ist beidseitig.
Das heißt, die Gemeinschaft der Nutzer kontrolliert die unbändig assoziierende Maschine?
Das ist die Idee. Mit jeder Interaktion auf der Benutzeroberfläche gehe ich in Dialog mit der Maschine. Nicht nur "ich finde Informationen im Internet", sondern "ich arbeite mit Wissen". In dem Moment, in dem ich diese Fakten aus verschiedenen Quellen herausschneide und auf meinen Notizblock lege, kann ich damit kreativ umgehen und in das Wissen, das mir die Maschine vorbereitet hat, mein eigenes hineinlegen.
Anders als bei Google wird im eyePlorer auf eine Information im Netz nicht nur verwiesen, sie wird direkt angezeigt. Besteht hier nicht die Gefahr, die Quellen zu verschleiern?
Erstens: Unsere Maschine verändert eine Information nie. Zweitens: Sie gibt immer die Quelle an. Wir stöpseln nicht einfach Wissen aus unterschiedlichen Quellen zusammen, wir sagen im Moment nur: "Wir haben über deine Anfrage noch mal nachgedacht. Und das sind die Fakten, die uns dazu einfallen." Wenn sich der Nutzer dafür interessiert, kann er auf den dazugehörigen Link klicken und selbst überprüfen: Wie verlässlich dünkt ihm diese Quelle.
Bislang existiert keine Kooperation mit einem Internetsuchdienst wie Google. Was weiß Ihre Maschine dann derzeit überhaupt?
Wir fangen jetzt damit an, die immerhin 5,3 Millionen frei verfügbaren Wikipedia-Artikel auszulesen. Die Maschine braucht derzeit 30 Minuten, um Wikipedia auf Deutsch und auf Englisch nach bestimmten Begriffen abzusuchen. Das ist einerseits viel Zeit, aber ich selbst brauchte für eine solche Leistung Jahre. Da schwant einem das "denkerische" Potenzial eines solchen Wissensspeichers.
Mit dem eyePlorer propagieren Sie einen deutlich spielerischeren Umgang mit dem Wissen, als das heute der Fall ist.
In der Tat. Das Primärerlebnis der Maschine ist bei Google ja das eines Jägers: Ich schieße mir eine Webseite. Wir dagegen sind mehr die Sammler. Unsere Nutzer sollen sich im Wissen treiben lassen, wir liefern ihnen auf einer homogenen Oberfläche Informationen in ihre Gedanken hinein. Wir konkurrieren nicht mit Google, wir wollen das Wissen daraus nur strukturieren.
Wie meinen Sie das?
Google ist wie ein Zoo. Man hat so seine abgesteckten Gehege. In dem einen steht eine Giraffe, im anderen ein Raubtier, aber die sind klar getrennt durch Gitter und Wege. Ich kann sie mir nie in ihrer Gesamtheit anschauen. Genau das können wir. Wir versammeln alle möglichen Aspekte eines Themas auf einer Plattform und sind so in der Lage, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
Eine Art Metasuchmaschine …
Das mit den Begriffen ist immer so eine Sache. Mein Großvater hat mir mal gesagt: Das Schwierigste an der Entdeckung der Quantenmechanik war das Finden von Begriffen für Dinge, die es noch gar nicht gab. Auf uns bezogen heißt das: Wir bauen keine Suchmaschine, denn die gibt es schon. Wir sind aber auch kein Wiki. Wir sind etwas dazwischen. Eher eine Wissenswerkbank oder - etwas ambitionierter - eine Denkmaschine für die Generation, die dann kommt. Wenn junge Internetnutzer etwas über den Walchensee wissen wollen, haben sie keine Lust, zehn Seiten Artikel bei Wikipedia zu lesen, denn da stecken viel zu viele Informationen drin, die sie gar nicht interessieren. Sie wollen mit Wissen spielerischer umgehen.
Glauben Sie, Ihr Konzept wird angenommen?
Das Gehirn ist extrem flexibel, wenn es noch jung ist. Wir finden Google deshalb so gut, weil wir uns inzwischen an seine unkomfortable Benutzeroberfläche gewöhnt haben. Der Umerziehungsprozess ist im Moment deshalb auch unsere Haupthürde. Aber, wie gesagt, das Gehirn ist extrem flexibel und gewöhnt sich schnell an Verbesserungen.
Wenn Sie Ihre Vision, die technisch noch ganz am Anfang steht, mal weiterspinnen: Was bedeutet die neue Ordnung des Wissens für die Zukunft?
Wenn wir eines Tages der neue Dialog mit den Menschen werden, dann verändern wir, wie Steve Jobs mit seinen erfolgreichen Apple-Produkten, soziales Verhalten. Das kommt einem fast unheimlich vor. Wenn nur ein kleiner Prozentsatz der Internetbenutzer uns irgendwann als Alternative zu herkömmlichen Angeboten ansieht, können wir in Berlin ein florierendes Unternehmen aufbauen.
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