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Entweihung des Wahnsinns

■ Groteskes, Kulturgrößen, Nachkriegspolitik: Wilder Reiter GmbH ist wie sein Regisseur Josef Spieker zu Unrecht vergessen

Alexander Kluge, Volker Schlöndorff oder Rainer-Werner Faßbinder. Diese Namen fallen, wenn es um das deutsche Autorenkino der 60er Jahre geht. Aber wer kennt heute noch Franz-Josef Spieker? Nicht einmal in renommierten Dokumentationen wie Thomas Elsässers „Der neue deutsche Film“ findet er eine Erwähnung.

Das mag daran liegen, daß Spieker nur vier abendfüllende Spielfilme gedreht hat, vielleicht daran, daß er vor 18 Jahren auf Bali beim Baden ertrunken ist. Wer jedoch sein Debut Wilder Reiter GmbH von 1966 gesehen hat, wird sich an Spieker erinnern, möglicherweise auch wegen der makabren Par-allelen zwischen seiner Todesursache und Spiekers speziellem Humor.

Sein Erstling, in dem sich heutige TV-Größen reihenweise versammeln, ist ein durchdacht grotesker Ritt durch Kino-Traditionen, Genres, deutsche Kultur- Phänomene und Nachkriegspolitik. Der junge Möchtegernreporter Georg (Bernd Herzsprung) aus dem Westfälischen wird in München PR-Manager bei dem so ambitionierten wie durchgedrehten Möchtegern-Sänger Kim, dem „wilden Reiter“, der als eine Art despotischer Pop-Guru mit Cowboyhut und Lakaien in einem Sumpfgebiet haust.

Wie ein dem Wahnsinn verpflichteter Heimatfilm-Western-Schurke reitet Kim lauthals johlend auf einem Pony durch seinen Garten sowie durch ganz München. Auf diese Weise treibt er unter anderem eine flüchtige Nonne (Mar-the Keller) ins Moor – solcherart Auftritte führen zu Ruhm und Plattenverträgen. Aber der Star Kim führt ein Terror-Regime. Aufmüpfige Untergebene, die nach achtwöchigem, sinnlosem Erde-Schaufeln leise um Lohn betteln, werden gnadenlos zum Teufel gejagt oder mit Hufeisen erschlagen.

Kim weiß, mit Georg „könnten wir die Weltherrschaft erringen, aber das wollen wir gar nicht“. Als den Pop-Tyrannen jedoch nach den ersten großen Erfolgen eine traurige Erkenntnis erwartet: „Ich habe in den letzten Wochen feststellen müssen, daß die Welt schlecht ist!“, wird kurzerhand ein prominenter Leibwächter engagiert – Deutschlands jüngster Ritterkreuzträger. Georgs Chancen, dem Wahnsinn noch zu entkommen, sinken gegen Null.

Georg, Kim und die anderen sind Teil einer Bilderwelt, die aus einer großen Liebe zum Kino erwachsen ist. Und das zu bemerken bedarf es keines tüftelnden, sich cinephil gebenden Kennerblicks. Spiekers mediumreflexive Kinobilder und seine Verweise auf Vorbilder wie Fellini oder Buñuel stellen sich selbst immer schon als solche aus. Das mag vielleicht auch den großen Erfolg erklären, der Spiekers Film seinerzeit zu einem der großen Hits des jungen deutschen Films werden ließ.

Gerade in seinen komischen Momenten ist Wilder Reiter GmbH ein Film, der eine Menge über Kino verrät und völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist.

Jan Distelmeyer

So, 24. März, 21 Uhr, Metropolis, mit Einführung des Kameramanns Wolfgang Fischer.

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