Entscheidung über EU-Visafreiheit: Freie Fahrt für Bosnier und Albaner?
Am Montag und Dienstag entscheiden die EU-Innenminister, ob Bürger aus Albanien und Bosnien ohne Beschränkungen nach Europa reisen können. Es gibt Vorbehalte.
Alle eingeladenen Dichter und Denker aus Exjugoslawien waren am vergangenen Wochenende zu dem Literaturtreffen "Jugoslavija revisited" angereist. Nur einer fehlte. Der bosnische Schriftsteller Asmir Kujovic hatte trotz einer Einladung und einer Garantieerklärung des Veranstalters Alte Schmiede in Wien kein Einreisevisum in die Europäische Union erhalten. Dass ausgerechnet die Opfer der Kriege in Exjugoslawien aus Europa ausgesperrt werden, war für viele Anwesende nicht akzeptabel. Bosniern und Albanern wird bisher die visafreie Einreise in die Europäische Union verweigert.
Am Montag und Dienstag sollen die Innenminister der EU über eine Neuregelung entscheiden. Für die Außenpolitiker der EU ist eine positive Entscheidung ein Muss. "Würde negativ entschieden, wäre dies ein politischer Super-GAU", erklärten übereinstimmend mehrere Botschafter von EU-Staaten in Sarajevo. Denn vor allem die bosniakische (muslimische) Bevölkerungsmehrheit ist von der bisherigen Visaregelung negativ betroffen.
Bosnische Kroaten kommen leicht an einen Pass des Nachbarlandes Kroatien, und bosnische Serben können sich ebenfalls den seit dem 1. Januar zur visafreien Einreise berechtigenden Pass der Republik Serbien beschaffen. Die Bosniaken haben diese Möglichkeit nicht. Viele von ihnen glauben, Europa habe die Visaregelung - anders als für Serbien, Montenegro und Makedonien - für Albanien und Bosnien nicht aufgehoben, weil die Bevölkerung der betroffenen Staaten Muslime sind.
Besonders verbittert reagieren die Menschen in Sarajevo. "Wir haben im Krieg hier die europäischen Werte der Toleranz und des multinationalen Zusammenlebens verteidigt, während Europa mit den Nationalisten kokettiert hat", erklärte die Journalistin Aida Cerkez-Robinson. "Jetzt will man uns wohl weiter draußenhalten. Wenn die Entscheidung negativ ausfällt, kann mich Europa gernhaben. Dann will ich gar nicht mehr nach Europa kommen."
Aida, die in Deutschland studiert hat, ist wie viele ihrer Landsleute beleidigt. Sie fühlt sich als Europäerin und hat wenig mit der Bevölkerung der islamischen Staaten gemein. Bei einer negativen Entscheidung würden die Muslime des Balkans weiter von Europa ferngehalten und in die Arme der islamischen Länder getrieben, in die sie visafrei reisen können.
Für den deutschen Außenminister Guido Westerwelle, der kürzlich bei seinem Besuch in Sarajevo die Unterstützung seines Amtes für die Aufhebung des Visazwanges für Bosnien und Albanien zugesichert hat, und für die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten des Europaparlaments ist klar, wie die Entscheidung ausgehen sollte: positiv.
Aber die Entscheidung wird jetzt den EU-Innenministern überlassen. Einige wichtige Beamte im deutschen Innenministerium und einige Innenminister der Bundesländer machen für eine negative Entscheidung Druck. In Dänemark, den Niederlanden und vor allem in Frankreich gibt es angesichts des innenpolitischen Rechtsruckes weiter Vorbehalte gegen den freien Reiseverkehr.
Zwar bedeutete die Visafreiheit nicht den unkontrollierten Zuzug von Arbeitskräften. Aber die fremdenfeindlichen und islamophoben Positionen in Europa könnten in letzter Sekunde doch noch die Aufhebung des Visazwanges verhindern, befürchten einige Diplomaten in Sarajevo.
Als weißer Fleck würde bei einem positiven Bescheid nur das Kosovo bleiben - ausgerechnet das Kosovo, wo Europa tausende Soldaten stationiert hat und die internationalen Institutionen über einen großen Einfluss verfügen. Allerdings ist die Kosovo-Regierung dabei, die notwendigen Auflagen und technischen Voraussetzungen zu erfüllen. Sollte der Visazwang für Bosnien und Albanien fallen, würde auch das Kosovo über kurz oder lang in den Genuss dieser Regelung kommen, hofft man in Prishtina.
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