: Entartung des Fernsehens
■ 'Die Zeit‘ sieht in 'Stern-TV‘ einen Angriff auf alle Bildungswerte/ Entgegnung auf eine Wertkonservative Kolumne
Schade, schade: Gerade jetzt, wenn das schöne, alte Traumbild von der ausgleichenden Mittelmacht Deutschland wieder aufflackert, soll der gute, deutsche Ausgewogenheitsjournalismus über Bord geworfen werden. Die Zeiten, als noch weitblickende Steuermänner gefragt waren, die die deutsche Flotte mit sicherer Hand durch das Bermuda -Dreieck Europa-Rußland-USA manövrieren konnten, scheinen vorbei zu sein. Doch im von Käpt'n Schmidt gesteuerten Geisterschiff 'Die Zeit‘ wird die Fahne der abwägenden Berichterstattung noch hochgehalten. Zickig verriß Susanne Mayer den Versuch ihres Arbeitgebers Gruner + Jahr, im Medium Fernsehen Fuß zu fassen. Das Stern-TV mit dem „bleichen Günther Jauch“ war für sie nicht nur der Verfall sämtlicher Bildungswerte, sondern schlicht „das finale Fernsehen“.
Ihre wertkonservative Kolumne in der schon etwas modernen 'Zeit'-Kabine „Modernes Leben“ kommt an keinem Reizwort für Zeitreisende vorbei: Von den oberflächlichen Amis (die mit Dallas und Denver) über den Anpassungskünstler Gorbatschow bis hin zu anglizistischen Sprach-Viren ist alles drin, was Legionen deutscher Studienräte den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Im Stern-TV, so die Warnung von Frau Mayer, droht Information nach amerikanischem Vorbild zu „Infotainment“ zu „mutieren“. Gut, daß wenigstens die 'Zeit‘ darüber wacht, daß das deutsche Fernsehen nicht entartet. Denn Fernsehen macht bekanntlich doof, und US-TV macht noch blöder. (Nur Zeitunglesen ist schlimmer! d.Äzzerin). Dabei wird übersehen, daß die amerikanischen Fernsehjournalisten kritische Reportagen liefern, von denen selbst BRD-Glanzperlen wie das Spiegel -TV noch eine Menge lernen können. In den Evening-News -Sendungen versuchen hervorragend ausgestattete Teams, die Nachrichten des Tages in kleinen Zweieinhalb-Minuten -Geschichten begreiflich zu machen, statt sie von einem Talking Head ex cathedra vortragen zu lassen. Wem das noch zuviel Hollywood im hehren Nachrichtenjournalismus ist, kann um elf die Magazinsendung Nightline goutieren, in der Moderator Ted Koppel - von der 'New York Times‘ als intelligentester TV-Mann gelobt - mit bohrenden Fragen zu Tagesereignissen versucht, Experten und Politikern ein Eckchen Wahrheit zu entreißen.
Im Kölner Stern-TV-Studio will derweil der erste Schwiegersohn der Republik, Günther Jauch, eine Konkurrenz zu Spiegel-TV und öffentlich-rechtlichen Anstalten etablieren und Leute „aus der Reserve locken“. Die ersten Versuche erscheinen noch stümperhaft. Die Bilder sind zu schnell, Jauch gönnt weder sich noch den Zuschauern eine Atempause, es fehlt ein roter Faden. Hastig stellt Jauch unartige Fragen, kann aber nicht mehr frech auf die Antworten reagieren. In der platten Umgebung der Ausgewogenheitsberichterstattung erscheint ihm die Verbindung von „Politik und Unterhaltung“ eben noch als schwindelerregende „Gratwanderung“.
Für Zeitgenossin Mayer ein Flashback in die aufgekratzten fünfziger Jahre, als deutsche Kids verführt wurden von der Ami-Losung „life is fun“. Solchen Moral- und Bildungsverfall kann nur noch ein Zeit-TV aufhalten, das den soliden deutschen Journalismus aus Pflichtgefühl wieder zum Leben erweckt. Warten wir ab, was sich im Laufe der Zeit zusammenbraut.
D.Oppelpunkt
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