Englische Zeitung in München: News für Touristen und Expats
Die „Munich Times“ ist Münchens neue englischsprachige Lokalzeitung. Erfahrene Journalisten finden sich in der Redaktion nicht, dafür aber viel Engagement.
MÜNCHEN taz | Ahnung vom Zeitungsmachen hat William Smyth nicht. Dafür aber ziemlich viel Elan. Vor etwa einem Jahr hat der 38-jährige Ire seinen gut bezahlten Job als Software-Ingenieur gekündigt und das Zeitungsprojekt The Munich Times aus der Taufe gehoben. Nicht weil er schon immer Verleger werden wollte, sondern weil er nach einem Grund suchte, um in München bleiben zu können.
„Ich komme aus Belfast“, sagt Smyth, ein schmaler Mann mit rötlichem Haar und Sommersprossen. „Hier friedlich in einem Straßencafé sitzen zu können, ohne Angst haben zu müssen, dass irgendwo eine Bombe hochgeht, ist für mich etwas Großartiges.“
Nun arbeitet er daran, in seiner Wahlheimat München eine wöchentlich erscheinende, englischsprachige Regionalzeitung zu etablieren, die sowohl Touristen als auch Expats ansprechen soll, also Leute aus anderen Ländern, die länger in Deutschland leben und arbeiten. Vergangenen Mittwoch erschien die fünfte Ausgabe mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren.
Die technische Lösung
„Eines Tages hatte ich mich mit einem Freund am Bahnsteig einer S-Bahn-Station verabredet“, erzählt Smyth und dehnt dabei die Vokale jedes englischen Worts, wie es nur Iren tun. „Aber die Station war gesperrt.“ Den Freund hat er nicht getroffen. Mehr noch als das irritierte Smyth aber, dass er nicht in der Lage war, den Grund der Sperrung herauszufinden. Deutsch hat er nie gelernt. „Dazu gab es bislang keinen Grund“, sagt er.
Wie die meisten Expats, wurde auch er alle paar Jahre von seiner Firma in ein anderes Land versetzt. Und in englischsprachigen Medien wird über lokale Ereignisse in München nicht berichtet. Also fasste der studierte Mathematiker den Entschluss, ein Zeitungsprojekt zu starten, und wählte dafür einen ungewöhnlichen Weg: Er entwarf eine eigene Redaktionssoftware, mit der nun die etwa 30-köpfige Crew aus englischsprachigen, teilweise semiprofessionellen AutorInnen und RedakteurInnen arbeitet.
Im Gegensatz zu Smyth ist ein Großteil von ihnen, darunter auch Englischlehrer und Universitätsprofessoren, in der Lage, auf Deutsch und Englisch zu recherchieren. Ausgesucht hat er die meisten aber nicht wegen ihrer journalistischen Fähigkeiten, so Smyth: „Mir ist wichtiger, dass das Team engagiert und motiviert ist.“
Das merkt man auch den Texten an. Nicht immer wird klar zwischen Meinung und Berichterstattung unterschieden. Auch haftet vielen Beiträgen der erklärende Tonfall eines Reiseführers an, der sich bemüht, München-Besuchern zu erläutern, wie die Stadt und ihre Menschen ticken. Neben Texten etwa über das Nacktsonnen im Englischen Garten finden sich in der Munich Times auch Kulturtipps und lokale, nationale und internationale Nachrichten.
Arbeiten von zu Hause
„Mein Hauptanliegen war, die Produktion der Zeitung so kostengünstig wie möglich zu halten“, sagt Smyth und präsentiert die Funktionen des Programms stolz am Computer im Wohnzimmer seiner Zweizimmerwohnung. Derzeit finanziert Symth das Projekt mit seinen Ersparnissen. Anzeigenkunden gibt es nur wenige. Alle Beteiligten arbeiten ehrenamtlich, bis die Zeitung Ertrag abwirft. „Deshalb habe ich versucht, das Programm so zu designen, dass die Mitarbeiter die einzelnen Arbeitsschritte möglichst selbstständig und ohne großen Zeitaufwand erledigen können.“
Weil es noch keine Redaktionsräume gibt, greifen die AutorInnen übers Internet auf das Programm zu, laden ihre Artikel hoch, platzieren sie auf der Seite und wählen Fotos zum Text aus. Die Benutzeroberfläche des Programms erinnert stark an Wordpress, eine benutzerfreundliche Blog-Software. Wird ein entsprechendes Häkchen gesetzt, erscheint der Text automatisch auch online.http://www.mtimes.com/
Die Grenzen zwischen professioneller Zeitungsredaktion und einem Gemeinschaftsblog verschwimmen. Alle fertigen und redigierten Artikel überträgt Smyth mit seinem Redaktionssystem in ein Layout- und Satzprogramm und schickt die Zeitung in Druck. Auf Layouter, Foto- und Onlineredaktion, also auf alles, was in etablierten Verlagshäusern spezialisierte Jobs, aber auch Kosten schafft, hat Smyth bewusst verzichtet. Um unabhängig bleiben zu können, wie er sagt. Die Entscheidung, neben dem Onlineauftritt ein gedrucktes Produkt herauszugeben, ist laut Smyth der potenziellen Leserschaft geschuldet: „Touristen, die nur kurze Zeit in der Stadt sind, finden uns leichter, wenn sie uns am Kiosk entdecken.“
Dass sich die Zeitung in der Entwicklungsphase befindet, ist dem Produkt vor allem äußerlich anzusehen: Die Druckqualität ähnelt der von kostenlos verteilten Stadtteilblättern, sonst bei Zeitungen übliche Merkmale wie Bildunterschriften oder einordnende Unterzeilen fehlen. Doch das ficht Smyth nicht an. „Ich finde, man kann von der ersten bis zur aktuellen Ausgabe eine deutliche Verbesserung sehen“, sagt er und legt die Ausgaben auf dem flauschigen Teppich zwischen Flachbildfernseher und Sofa aus.
Anderntags bei der wöchentlichen Redaktionskonferenz in einem Irish Pub in der Münchner Innenstadt kündigt Smyth dennoch eine Neuerung an. Er will den Namen der Zeitung ändern – er hat Großes vor. „Wenn wir große Anzeigenkunden erreichen wollen, müssen wir national erscheinen“, erklärt er den skeptischen RedakteurInnen. Langfristig plant er die Expansion nach Frankfurt und Berlin. „Aber dann“, sagt Smyth, „kann die Zeitung nicht mehr The Munich Times heißen.“ Über den neuen Titel wird bei der nächsten Redaktionskonferenz diskutiert.
Anmerkung der Redaktion: The Munich Times wurde mittlerweile unbenannt auf The Munich Eye und ist online unter www.themunicheye.com zu finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen