: England und seine Iren
300 Jahre Kolonialismus haben im Denken der Engländer ihre Spuren hinterlassen. Die Iren, dieser aufsässige Volksstamm auf der benachbarten Insel, sind von Cromwell bis Thatcher aus der Sicht des englischen Establishments immer nur eines gewesen: trouble makers, Unruhestifter. Immer dann, wenn Nordirland auf dem britischen Festland wieder für blutige Schlagzeilen sorgt, scheint dieses Vorurteil erneut seine Bestätigung zu finden. Daß die „troubles“ und das Verhalten der Iren nördlich und südlich der 1921 künstlich gezogenen Grenze nur Produkt dieses manchmal brutalen, manchmal subtilen Kolonialismus ist, wird in London allzu gerne vergessen. Wer mit einem irischen Akzent in England in eine Polizeikontrolle fährt, muß sich doppelt in acht nehmen. Der 1974 nach einem Anschlag der IRA eingeführte „Prevention of Terrorism Act“ ist seitdem fast ausschließlich auf des Terrorismus verdächtige Iren angewandt worden und juristisches Symbol der „Sonderbehandlung“. Offen zutage tritt dieser anti–irische Rassismus vor allem dann, wenn die IRA wieder eine Attacke gegen die Briten durchgeführt hat oder wenn sich Iren in Dublin und Belfast wieder einmal über ihre ungerechte Behandlung durch die britische Justiz beschweren. Als ein irischer Minister unlängst im Fernsehen die Bestätigung des (Fehl–)Urteils gegen die vermeintlichen IRA–Bomber von Birmingham, die sogenannten „Birmingham Six“, kritisierte, antwortete ihm sein Gesprächspartern, ein konservativer britischer Abgeordneter nicht etwa mit Argumenten, sondern mit der abschätzigen Bemerkung, dieses Meckern über die britische Justiz sei halt das, was man von „diesen Iren“ zu erwarten habe. Hätte er diese Aussagen über die schwarzen Einwanderer gemacht, wären in den Einwanderervierteln Londons noch am gleichen Abend Fensterscheiben zu Bruch gegangen, hätte sich Großbritanniens liberale Öffentlichkeit ganz furchtbar über diesen „Rassismus“ empört. Im Falle der Iren hüllt sich diese liberale Öffentlichkeit dagegen meist in Schweigen. Das Thema Nordirland bedeutet für die Briten fast immer eine Bedrohung von „Recht und Ordnung“. Einer Meinungsumfrage zufolge räumen 77 Prozent aller Briten ihrer SAS–Einsatztruppe das Recht ein, auch unbewaffnete Terroristen wie in Gibraltar einfach abzuknallen. Dieser emotionale Schulterschluß findet auch im Parlament seinen Ausdruck, wenn die Parteiführung der Labour Party immer wieder bewußt vermeidet, bei Skandalen, die Nordirland betreffen, eindeutig eine abweichende Position zu beziehen. Auch im Falle der Ereignisse von Gibraltar waren es nur einzelne Labour–Abgeordnete, die von einer „Einführung der Todesstrafe für Terroristen durch die Hintertür“ sprachen. Die Parteiführung zog es vor, der Stimme des Volkes zu folgen und die SAS zu ihrer Aktion zu beglückwünschen. Politisch läßt sich mit dem Aufgreifen der irischen Frage (die zumindest zur Hälfte auch eine britische ist) in Großbritannien keine einzige Wählerstimme gewinnen. Folglich ist Irland in Großbritannien entweder kein Thema (wenn nichts passiert) oder wird gleich als Bedrohung wahrgenommen (wenn es wieder Unruhen oder gar Tote gibt). Rolf Paasch
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