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England bei Fußball-EM„Zu weit weg von Europa“

Keine Fahnen, keine Werbung für die EM, kaum jemand interessiert sich in England für das Turnier. Das könnte daran liegen, dass die Engländer immer verlieren, sagt Simon Kuper.

Den Engländern fehlen die Stars. Oder sie sind wie Steven Gerrard schon zu alt. Bild: dpa
Erik Peter
Erik Peter
Interview von Erik Peter und Erik Peter

taz: Herr Kuper, vor jedem Turnier glauben die Engländer, ihre Mannschaft holt den Titel. Diesmal auch?

Simon Kuper: Überhaupt nicht. Das erste Mal sind die Engländer sehr pessimistisch. Auch wird sehr wenig über die Mannschaft und die EM berichtet. Die Zeitungen berichten vor allem über Cricket und Rugby. Die EM-Stimmung fehlt völlig. In London sieht man keine Fahnen, keine Werbung für die EM, kaum jemand interessiert sich für das Turnier.

Englands Bilanz bei Europameisterschaften ist katastrophal. Die beste Platzierung war ein dritter Platz 1968. Warum?

Das Scheitern ist ziemlich logisch. Wir haben berechnet, dass England etwa die zehntbeste Mannschaft der Welt sein müsste und normalerweise ist das auch so. Da spielen Faktoren wie die Größe des Landes oder das Pro-Kopf-Einkommen eine wichtige Rolle. Doch die Engländer erwarten zu viel. Dass wir das Spiel erfunden haben, bedeutet heute nichts mehr.

Außerdem gibt es europaweit einen Austausch von Kenntnissen, bei dem England außen vor ist. Deutschland hat sich nach der EM-Katastrophe von 2000 sehr viel bei den Niederländern und Spaniern abgeschaut und ist deswegen besser geworden. Die Engländer haben keine Ahnung vom europäischen Fußball.

Bild: Archiv
Im Interview: Simon Kuper

Die Person: Der Brite wird 1969 im ugandischen Kampala geboren. Er wächst in den Niederlanden auf, unterbrochen von Auslandsaufenthalten in Deutschland, Südafrika und der USA. Er studiert in Harvard und Oxford Deutsch und Geschichte.

Das Werk: Kuper arbeitet als Kolumnist u. a. für die Financial Times, kommentiert Sport „aus anthropologischer Sicht“ und schreibtfür verschiedene Fußballmagazine. Mit „Football Against the Enemy“ erscheint 1994 sein viel beachtetes Erstlingswerk. 2009 veröffentlicht er zusammen mit Stefan Szymanski „Why England lose“. Das Buch ist 2012 bei Tiamat auf Deutsch erschienen.

Die englische Europaskepsis wirkt sich negativ auf den Fußball aus?

Wir sind als Insel zu weit von Europa entfernt. Wir wissen zwar, dass Spanien die beste Mannschaft ist, aber wie sie das machen, ist uns nicht klar. Der große Nachteil ist zudem die Premier League. Da spielen zu viele Engländer. Die Liga ist so stark, dass sie für die Spieler unglaublich ermüdend ist. Die Spieler sind mehr gefordert als in der Bundesliga oder beim FC Barcelona, wo es viele einfache Spiele gibt.

Sie schreiben in Ihren Buch, dass England besonders häufig gegen frühere Kriegsgegner verliert.

Komischerweise ist England in den letzten sieben Weltmeisterschaften fünfmal gegen Deutschland oder Argentinien ausgeschieden. Das ist für die Boulevardpresse immer ein gefundenes Fressen. Aber die Ressentiments nehmen ab. Zwar ist Deutschland der Angstgegner, aber antideutsche Gefühle und Witze gibt es kaum noch.

Im Umkehrschluss der Kriegsgegner-Regel sollte es doch gegen Frankreich gut ausgehen.

2004 haben wir auch gegen Frankreich verloren. Für England gibt es keine Garantien.

Bei wem wird man diesmal die Schuld suchen, wenn es wieder schiefgeht?

Meist ist der Trainer der Sündenbock, diesmal wird es aber einen Spieler treffen. Ich erwarte, dass John Terry der Auserwählte sein wird. Er war zuletzt in eine Rassismus-Affäre verwickelt und wird sehr kritisch beäugt.

Was ist mit den Torhütern?

Mit Joe Hart haben wir zum ersten Mal einen Weltklasse-Torhüter. Zwar kann ihm ein Patzer unterlaufen, so wie das englischen Torhütern meistens passiert, aber er ist wirklich gut.

Der englische Verband hat nur 10.000 Tickets für die drei Vorrundenspiele abgesetzt. Haben die Fans schon jetzt resigniert?

Ja, die Hysterie der letzten Turniere war ermüdend. Auch fehlen der Mannschaft die Stars oder sie sind wie Steven Gerrard schon zu alt. Frank Lampard fehlt verletzt, Wayne Rooney ist für die ersten beiden Spiele gesperrt. Aber die negative Stimmung ist fehl am Platz. Die meisten Spieler kommen vom Champions-League-Sieger Chelsea oder einem der Clubs aus Manchester. Das ist schon eine sehr akzeptable Mannschaft.

Was würde bei einem überraschenden EM-Sieg passieren?

Wahrscheinlich könnten die Engländer nur sehr schlecht damit umgehen und würden zu viel Übermut entwickeln. Sympathischer sind sie, wenn sie verlieren. Dann machen sie Witze über sich selbst. Ich hoffe also nicht, dass sie gewinnen. Aber ein bisschen Erfolg brauchen sie auch. Halbfinale wäre sehr nett.

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2 Kommentare

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  • P
    Peter

    Den Euro müssen die Engländer nicht schädigen, das macht ihr Deutschen, Spanier, Griechen,... schon ganz alleine, und ihr macht das richtig gut!

  • A
    aurorua

    Europa ist für England nur dann interessant, wenn es gilt Fördermittel abzukassieren und dem Fortkommen Europas via Veto zu schaden. Ansonsten besteht eine angloamerikanische Allianz die Europa mit allen Mitteln bekämpft, insbesondere ökonomisch u.a. durch massive Wirtschaftsspionage und zielgerichtete Schädigung des Euro.