Energiepreise steigen: Der Teuer-Schock

Die jüngsten Energie-Verteuerungen markieren den Einstieg in die weltweite Energiewende. Die Preise müssen steigen – und zahlen werden wir. Aber dies ist auch der Neustart von Wirtschaft und Gesellschaft.

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Von UDO KNAPP

Die Energiepreise steigen. Gründe dafür gibt es einige. Manche sind spekulativ, andere gut begründet.

Mag sein, dass Russland und die Opec die Arbeitslast ihrer Pumpen gedrosselt haben, mit denen sie Öl und Gas aus der Erde holen und durch diese Verknappung des Abgebotes täglich Extra-Milliarden Dollar verdienen.

Mag sein, dass Russland am Gashahn dreht, um kurz vor der Kälteperiode aktiv Energiemangel in der EU zu erzeugen und damit seine imperialen Interessen zu stärken, wie jüngst in Moldawien zu beobachten.

Mag sein, dass Russland mit der künstlichen Verknappung der Gaslieferungen nach Mitteleuropa auch noch die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 erpressen will, um später dauerhaft den Energiemarkt der EU für das Durchsetzen seiner politischen Zwecke zu instrumentalisieren.

Die finanzielle Lasten der Energiewende sind ungleich verteilt

Erleichtert wird jedenfalls ein solches Vorgehen durch das Wiederanspringen der weltweiten Konjunktur und der preistreibenden Nachfrage nach Energie nach dem vorläufigen Abklingen der Corona-Pandemie. Verstärkt wird das Steigen der Energiepreise aber auch durch die klimapolitisch notwendige Verpreisung des CO2-Ausstoßes für Industrie und Gesellschaft.

Mit anderen Worten: Der Klimawandel und der dadurch zwingende Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter haben jetzt Preissteigerungen an der Zapfsäule zur Folge, bald werden die Wärmepreise und danach die Lebensmittelpreisen im Supermarkt drastisch steigen.

Das romantische Bild von einer Energiewende, die ohne Einschränkungen oder Zusatzbelastungen für das Leben aller Bürger gemanagt werden kann, wird von den Tatsachen als politischer Fake entlarvt. Wie immer in Zeiten historischen Großwandels sind und bleiben dessen finanzielle Lasten und Wirkungen längs der sozialen Schichtungen ungleich verteilt. Alle diejenigen, die mit kleineren und mittleren Einkommen leben, werden mit einem Rückbau ihrer bisher gelebten Konsumkultur rechnen müssen. Sie werden den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft bezahlen.

Die Industrie muss für den ökologischen Umbau motiviert werden

Die von der Politik in ganz Europa jetzt zu lösende Aufgabe lässt sich präzise beschreiben. Sie muss in den Industrieländern des Westens die Energiepreise verteuern, damit die Lenkungswirkung dieser Preise in Richtung CO2-Neutralität bis Mitte des Jahrhunderts funktioniert. Nur so lässt sich ein mobilisierendes Eigeninteresse von Industrie und Gesellschaft an einem ökologischen Umbau herstellen und stabilisieren. Die Bereitschaft der großen und kleinen Industrien, sich auf einen solchen Pfad einzulassen, war noch nie so groß wie jetzt. Denn die steigenden Energie-Preise zwingen alle, die auch in Zukunft von ihren Investitionen leben wollen, ihre Produktionsstrukturen jenseits des Verbrennens jeder fossilen Energie neu zu erfinden.

Diesen Umbau muss und kann die Industrie und das sie steuernde Kapital aber aus eigener Kraft stemmen. Die Vorstellung, dass die öffentliche Hand der Industrie mit verlorenen Zuschüssen aus ihren Steuerhaushalten den Weg zu ökologisch sauberen Profiten pflastert, ist gegenüber den steuerzahlenden Bürgern nicht vertretbar. Nachzudenken wäre stattdessen etwa darüber, dass alle direkten und weitgehend bedingungslos kostensenkende Subventionen abgeschafft und grundsätzlich durch öffentliche oder öffentlich besicherte, aber zielgebundene Kredite für den ökologischen Umbau ersetzt werden.

Ein solcher Schritt ist auch zentral, um die in der Energiewende unvermeidbare Vertiefung der sozialen Spaltungen in ihrer politisch destruktiven Dynamik zu dämpfen. Die im Augenblick diskutierten Maßnahmen, die Senkung der Energiesteuern, die Deckelung von Kraftstoffpreisen, die Erhöhung der Pendlerpauschale, die Erhöhung der Energieanteile im Wohngeld oder bei Hartz IV und auch das von den Grünen vorgeschlagene Energiegeld können zwar dazu beitragen, dieses Dämpfen sozialer Unwuchten symbolisch zu untersetzen, an der Tatsache faktischer Einschränkungen im Lebensalltag vieler Bürger in der Energiewende werden sie wenig ändern.

Der Beginn von Zumutungen markiert einen Neustart

Und trotzdem können solche klimasozialen Gesten dem in den letzten zehn bis sechzehn Jahren versäumten und deshalb nun umso zwingenderen Ausbau der regenativen Energien in allen Formen zusätzliche politische Legitimation und Zustimmung verschaffen. Der beschleunigte Ausbau der öffentlichen oder halböffentlichen Energieinfrastruktur, der Energienetze und großflächig nutzbarer Speichermedien, sowie der Auf- und Ausbau eines europäischen Energie-Managements müssen auf der politischen Agenda ganz oben stehen. Intelligent geplant könnte der in den nächsten Jahren stark zunehmende Energiebedarf von Industrie und Gesellschaft in allen europäischen Ländern in einer gemeinsamen europäischen Anstrengung sichergestellt werden.

Warum Bundeskanzlerin Merkel vor diesem Hintergrund bei ihrem letzten EU-Gipfel dem Vorschlag einiger Südländer zu einem gemeinsamen Gaseinkauf aller EU-Staaten zur Stärkung ihrer Marktmacht zu Fall gebracht hat, ist nicht nachvollziehbar. Bei der Beschaffung des Corona-Impfstoffes hat man es ähnlich gemacht, und das funktioniert heute ausgezeichnet.

Die aktuellen Energiepreiserhöhungen markieren den Einstieg in die nächsten beiden Jahrzehnte der weltweiten Energiewende. Es ist der Beginn von Zumutungen, aber auch der faszinierende Neustart von Wirtschaft und Gesellschaft jenseits aller fossilen Energieträger. So eine Zeit, die die Zivilisation in ihrer Existenz bedroht, verlangt ein Regieren, das von seinen verfassungsrechtlichen Herrschaftsmitteln aktiv und verantwortungsbewusst Gebrauch macht. Das beinhaltet, sowohl markt- und sozialliberalen Bremsern als auch den randalierenden Populisten die rote Karte zu zeigen. Und dazu gehört auch, dem aufkommenden Geraune über einen Weiterbetrieb der mit guten ökonomischen und ökologischen Argumenten abgehakten Atomenergie mit einem kategorischen Nein entgegenzutreten. Am besten im Koalitionsvertrag der zukünftigen Bundesregierung.

UDO KNAPP ist Politologe und schreibt für taz FUTURZWEI regelmäßig einen Kommentar.

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