Energie: Kohle für den Norden
In Brunsbüttel läuft die Anhörung für das größte Kohlekraftwerk der Republik. Es ist nur eines von einem ganzen Kraftwerkspark. Gutachter bewerten Schadstoffemissionen als unbedenklich. Gegner wollen klagen.
An der Unterelbe liegen die Nerven blank. Drei Kohlekraftwerke sind allein in Brunsbüttel geplant, ein halbes Dutzend weitere in der Region. Wie beim Erörterungstermin zum Bau eines großen Kohlekraftwerks der Firma Südweststrom (SWS) deutlich wurde, macht das vielen Anwohnern Angst. Sie sorgen sich um ihre Kinder, die nachts mit Pseudokrupp-Anfällen aufwachen; um ihre Häuser, von denen sie fürchten, dass sie an Wert verlieren werden und vor dem Klimawandel - schließlich leben sie ja kurz hinterm Deich und müssen sich als direkt Betroffene fühlen.
An der Küste spielt sich ein Machtkampf um die künftige Energieerzeugung ab. Nach dem Kampf gegen die großen Atomkraftwerke wie Brokdorf und Brunsbüttel in den 80er Jahren kämpfen jetzt zum Teil dieselben Leute gegen Steinkohlekraftwerke. "Das SWS-Kohlekraftwerk würde die strombedingten Emissionen des Klimakillers CO2 in Schleswig-Holstein auf einen Schlag verdreifachen", sagt Hans-Jörg Lüth, Landesgeschäftsführer des Umweltverbandes BUND. Angesichts der länderübergreifenden Verbundnetzpläne für regenerativ erzeugten Strom seien derartige "Kohle-Dinosaurier" unnötig, ergänzt der Umweltbeauftragte der Nordelbischen Kirche Thomas Schaack. Mehr noch: Sie behinderten den Ausbau der erneuerbaren Energien. Denn sie nähmen Netzkapazitäten und Absatzmärkte in Anspruch, eigneten sich aber aufgrund ihrer Trägheit nicht als Ergänzung zum Wind und Sonnenstrom.
In Brunsbüttel sind drei Kohlekraftwerke geplant, davon zwei mit je 800 Megawatt Leistung.
Das Stadtkraftwerk soll zwei Blöcke à 900 Megawatt haben. Es hätte einen Nettowirkungsgrad von 46 Prozent. Es würde mit Elbwasser gekühlt und per Schiff mit Brennstoff versorgt. Es läge unweit der Einfahrt zum Nord-Ostsee-Kanal.
Südweststrom ist eine Stromhandelsgesellschaft, in der sich eine Reihe süddeutscher Stadtwerke zusammengeschlossen haben - unter anderem das von dem Grünen Boris Palmer regierte Tübingen. Palmer geht davon aus, dass Deutschland bei einem Atomausstieg nicht auf Kohlekraftwerke wird verzichten können.
Die 4.900 EinwenderInnen in Brunsbüttel gehen davon aus, dass das SWS-Steinkohlekraftwerk mit seinen rekordverdächtigen 1.800 Megawatt ihre Lebensqualität und Lebenserwartung beeinträchtigt. Ob das so ist, wurde am Donnerstag diskutiert. Aus Sicht der Kraftwerksgegner ist die Sache klar: Gut 400 Tonnen Feinstaub wird das "Stadtkraftwerk Brunsbüttel" pro Jahr in die Luft blasen. Darunter sind radioaktive Isotope, Schwermetalle und giftige chemische Verbindungen. Von dem besonders problematischen Cadmium würden jährlich 340 Kilogramm emittiert, rechnete ein Einwender vor. 425 Kilogramm seien es beim Arsen. Das könne gar nicht ohne Folgen bleiben.
Genau das jedoch behaupteten die beiden Gutachter von SWS und vom Land Schleswig-Holstein. Der Staub verteilt sich demnach so fein, dass die zur Gesundheitsvorsorge geltenden gesetzlichen Grenzwerte weit unterschritten werden und bis auf wenige Ausnahmen nicht einmal die Relevanzschwelle überschritten wird.
Feinstaub erhöht das Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden. Darin waren sich soweit alle einig, nicht jedoch bei der Bewertung der Belastung vor Ort. "Die Vorbelastungsdaten zeigen eindeutig, dass wir hier nicht die Luftbelastung haben wie in anderen industriell und durch Verkehr belasteten Gebieten", sagte Thomas Eikmann, der von SWS bestellte Gutachter. Was durch das Kraftwerk hinzukommen würde, sei so wenig, dass es nicht ins Gewicht falle.
Der Gutachter des Landes, Hermann Kruse, stimmte im Grundsatz zu. Trotzdem riet er zur Vorsicht. Bei Anwendung eines von ihm entwickelten scharfen Maßstabes müssten die Kraftwerksbetreiber bei Arsen, Cadmium, Nickel und Chrom nachbessern. Ähnlich verlief die Debatte beim Thema Radioaktivität.
Mit dem Argument, dass die Luftqualität in Brunsbüttel trotz eines großen Industriegebiets der auf dem Land oder in einer Kleinstadt entspreche, wollten sich die Einwender nicht abfinden: "Hier leben auch Menschen, die einen höheren Anspruch an Luftsauberkeit haben", sagte Arne Firgahn, der 15 Kilometer vom Kraftwerk entfernt wohnen würde.
Die Gegner des geplanten Steinkohlekraftwerkes von Südweststrom in Brunsbüttel haben eine Normenkontrollklage angekündigt. Der von der Stadt erlassene Bebauungsplan gebe nur ein kleineres Kraftwerk her als die nun geplante Anlage, sagte Jürgen Quentin von der Deutschen Umwelthilfe. Die Klage würde das Projekt voraussichtlich um Monate verzögern.
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