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Archiv-Artikel

Endgültige Trennung

Ariel Scharons Plan, alle jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen zu räumen, verblüfft Freund und Feind

AUS JERUSALEMSUSANNE KNAUL

Ob beabsichtigt oder nicht – mit seiner Ankündigung, 20 jüdische Siedlungen räumen zu lassen, gelingt Israels Premierminister Ariel Scharon das, was ihm seine Kritiker aus dem gesamten politischen Spektrum vorwerfen: von den gegen ihn vorgebrachten Korruptionsvorwürfen wegen der Annahme illegaler Spenden und Bestechungsgelder abzulenken. In einem gestern veröffentlichten Interview mit der liberalen Tageszeitung Ha’aretz ließ Scharon die Bombe platzen: Innerhalb von zwei Jahren wird es keine Juden mehr im Gaza-Streifen geben. Neben den dortigen Siedlungen stehen drei weitere Siedlungen in Samaria und im Westjordanland auf dem Evakuierungsplan.

Ende Februar will der Premierminister anhand detaillierter Listen mit US-Präsident Georg Busch über die Umsiedlung und ihre Finanzierung beraten. Kritiker in der eigenen Koalition prophezeien, dass die Regierung vorher stürzt. „Das Vakuum, für das die Palästinenser verantwortlich zu machen sind, kann nicht ewig fortbestehen“, heißt es in dem Ha’aretz-Interview. „Als Teil der geplanten einseitigen Teilung habe ich deshalb Anweisung erteilt, die Evakuierung – Entschuldigung! – der Umverlegung von 17 Siedlungen aus dem Gaza-Streifen mit 7.500 Bewohnern auf israelisches Gebiet vorzubereiten.“ Ziel sei, die Siedlungen zu räumen, die vor allem aus sicherheitstechnischen Gesichtspunkten für Israel problematisch sind. Scharon räumt ein, dass die Umsiedlung „keine leichte Angelegenheit“ sei, auch weil „es unter Beschuss geschieht“.

Gesucht wird zunächst nach geeignetem Land für die Neuansiedlung und -errichtung von „tausenden Kilometern Gewächshäuser, Fabriken und Pflanzenverpackungsanlagen“. Die einseitigen Schritte sollten nicht als Ende des Friedensprozesses aufgefasst werden. „Wenn die Palästinenser bereit sind, mit uns zu verhandeln, werden wir uns mit ihnen zusammensetzen.“ Ein Angebot, das Scharon präzisieren müsste, denn in den vergangenen Tagen hatte der palästinensische Premierminister Ahmad Kurai wiederholt die Bitte geäußert, direkte Gespräche mit der israelischen Regierung zu führen. Der geplante Abzug sei ein Verstoß gegen den internationalen Friedensplan „Roadmap“, da er nicht nach Absprache mit der palästinensischen Führung vorgenommen wird. „Der Abzug garantiert nicht das Ende des bewaffneten Widerstands“, schreibt Seew Schiff von Ha’aretz. Weitere Übergriffe gegen Israel würden zu erneuten Militäraktionen führen. Auch Jossi Beilin, Exjustizminister und einer der „Architekten“ des Osloer Friedensprozesses, fürchtet, dass einseitige Schritte „Israel Schaden zufügen“. Der Abzug sei ein „Preis für die Hamas“, die, daran zweifle er nicht, „den Gaza-Streifen übernehmen wird“.

Die Kritik erreichte Scharon aus dem gesamten politischen Spektrum, obgleich eine von der auflagenstärksten Tageszeitung, Jediot Achronot, am Dienstag veröffentlichten Umfrage zeigt, dass 57 Prozent der Bevölkerung einen Abzug befürworten und damit hinter Scharon steht. Nahezu einstimmig traf Scharon der Vorwurf, er wolle von der diese Woche beginnenden Untersuchung gegen ihn ablenken. Sollte die Korruptionsaffäre ein Verfahren gegen ihn zur Folge haben, müsste er sein Amt zumindest temporär niederlegen, hatte Justizminister Tommi Lapid bereits angekündigt. Als „beschämend“ empfindet Tourismusminister Benni Elon (Nationale Union) die Ankündung „eines solchen Plans nur wenige Tage, nachdem Terroristen elf israelische Zivilisten wenige Meter von seiner [Scharons] Haustür in Jerusalem ermordeten“. Scharon müsse klar sein, dass das „nationale Lager einen Rückzug nicht erlauben wird“.

Wie eng es für ihn werden kann, sollten die Nationale Union und die National-Religiöse-Partei die Koalition verlassen, musste Scharon am Montagabend erleben, als ein von der Arbeitspartei vorgebrachtes Misstrauensvotum mit der Mehrheit von nur einer Stimme abgewiesen wurde. Der Premierminister gibt sich gelassen: Würde man Umfragen unter Likud-Mitgliedern abhalten, „ergäbe sich ein anderes Bild“. Überdies würde er nicht zögern, eine veränderte Koalition zu errichten. Schimon Peres, Chef der Arbeitspartei, hegt zwar Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Regierungschefs, „wir glauben an Taten, nicht an Worte“, meinte er, dennoch stellte sein Parteigenossin Dalia Itzik ein Zusammengehen mit dem Likud in Aussicht, sobald die Evakuierung konkret vorangetrieben werde. Damit wird allerdings in den Reihen der Arbeitspartei nicht vor den Wahlen in den USA, im kommenden November, gerechnet.