Emigrierte Jüdin kehrt zurück: Letzte Chance Albanien
Die Hamburger Jüdin Johanna Neumann hat den Holocaust durch eine Flucht nach Albanien überlebt und emigrierte nach Kriegsende in die USA. Zunächst konnte sie es nicht ertragen, ihre Geburtsstadt zu besuchen. Nun ist sie bei zwei Hamburger Veranstaltungen zu Gast.
"Wissen Sie, uns haben Menschen geholfen, das kann man eigentlich im Nachhinein gar nicht verstehen", sagt Johanna Neumann und bleibt kurz stehen. Manchmal wäre es richtig grotesk gewesen: "Sie war Deutsche, er Albaner", beginnt sie zu erzählen und geht langsam weiter in Richtung des kleinen Cafés, wo wir etwas trinken wollen: "Er hatte in Braunschweig studiert, war Ingenieur geworden und sie waren gemeinsam nach Albanien zurückgegangen. Bei ihnen im Wohnzimmer hing ein Bild von Hitler, ein richtig großes, in Farbe."
Johanna Neumann breitet die Arme aus, geht in die Höhe, geht in die Breite: Es muss so ein richtiger, übler Schinken gewesen sein. "Die Frau war sehr, sehr stolz darauf; auch darauf, dass ihr Vater eines der ersten NSDAP-Mitglieder war und dass bei ihnen 1930 im Keller geheime Versammlungen der Nazis stattgefunden hatten. Aber sie haben uns trotzdem geholfen, ganz selbstverständlich, und sie haben uns nie verraten."
Die 81-jährige Johanna Neumann ist eine Hamburger Jüdin, die den Holocaust in Albanien überlebte und heute in Washington zu Hause ist. Neumann hat ein Buch über ihre Flucht über Albanien in die USA geschrieben und wird am 30. Januar bei der Eröffnung einer Hamburger Ausstellung über das Stolpersteine-Projekt sprechen. Am 1. Februar ist sie bei einer Veranstaltung der Universität Hamburg zu Gast.
Johanna Neumann kommt als Kind des Ehepaares Siegbert Zodek und Alice Esther Gerechter am 2. Dezember 1930 in Hamburg zur Welt. Die jüdische Kaufmannsfamilie wohnt im Grindelviertel, in der Parkallee, fühlt und denkt deutsch: "Mein Vater hat im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft und war lange sehr stolz darauf."
Doch was zählt das 1933 noch? Links und rechts machen sich Verwandte und Bekannte auf, Hamburg zu verlassen und auch ihr Vater sieht am Ende ein, dass ihm weder seine Stellung als Geschäftsmann noch sein ihm 1935 verliehener Frontkämpferorden etwas nützen wird. Intensiv bemüht er sich ab 1938, ein Visum zur Ausreise in die USA zu bekommen. Die Zeit drängt und das Visum zu erhalten, ist schwierig. Ein Land aber gibt es, das noch Visa erteilt: das Königreich Albanien.
"Ja, Albanien. Wenn ich erzähle, dass ich mit meinen Eltern den Krieg in Albanien überlebt habe, sagen immer alle: ,Oh, Albanien, wie interessant.' Was weiß man denn schon über Albanien? Wir wussten auch nichts über Albanien, außer, dass es ein Land auf dem Balkan war und dass wir dort erst mal unter recht primitiven Bedingungen würden leben müssen - bis das Visum für Amerika hoffentlich schnell da sein würde."
Es kommt der 23. Februar 1939: Neumann ist gerade mal neun Jahre alt und es wird allerhöchste Zeit, Hamburg zu verlassen. Mit sehr wenig Gepäck steigt sie mit ihren Eltern sowie einer befreundeten Familie im Bahnhof Dammtor in den Zug. Die Fahrt geht über München Richtung Süden. Eine letzte, barsche und demütigende Kofferkontrolle an der deutsch-italienischen Grenze, die die Familie noch einmal in Angst und Schrecken versetzt - dann geht es weiter nach Bologna und ab Bari weiter mit dem Schiff. Die Reise endet in der westalbanischen Hafenstadt Durrës.
Albanien empfängt sie freundlich. Der König von Albanien - noch ist das Land eine Monarchie - hat zudem einen Sohn und also Thronfolger bekommen, Salutschüsse erfüllen die Luft. König Ahmet Zogu verfügt, dass die Grenzen für alle Juden offen sind. Es ist geplant, allen Juden, die Schutz suchen, die albanische Staatsbürgerschaft zu erteilen. Man will sie ansiedeln, will von ihrer Bildung und ihren Kenntnissen profitieren. Die Familie aber will nicht bleiben. Ein paar Tage, ein paar Wochen, vielleicht auch ein paar Monate - dann wird es schon weiter gehen mit dem Schiff nach Amerika, dank des Visums.
Doch das Visum kommt nicht. Albanien wird im April 1939 von den Italienern besetzt, dann im Juli 1943 von den Deutschen. Die Familie Gerechter muss sich nun endgültig versteckt halten. Dass in Albanien die Gastfreundschaft ein so hohes Gut ist, dass die Gastgeber ihr eigenes Leben riskieren, um den Gast zu schützen, hilft ihnen und rettet sie am Ende.
Mehr als einmal sind ihnen die Häscher auf der Spur. Haben von einer deutschen Familie gehört, die etwa in einer Art Sommerhaus nahe des Strandes wohnen soll, darunter ein Mann, der also nicht bei der Wehrmacht ist, da stimmt doch etwas nicht! Doch die Gerechters überstehen die Jahre, auch wenn das Leben hart, weil entbehrungsreich und unsicher ist. Im September 1946, nach weiteren Wirren, gelangt die Familie endlich in den Staaten an. Acht Jahre später.
1971 fährt Johanna Neumann das erste Mal nach Hamburg, sie will das Grab ihres Großvaters besuchen. "Es war sehr traurig, durch meine Geburtsstadt zu gehen und zu denken: Da lebte eine Tante und da lebte ein Onkel und keiner hat überlebt und nichts ist mehr da von dem jüdischen Leben, das mir als Kind so vertraut war", erinnert sich Neumann an diesen ersten Besuch. Die Synagoge am Bornplatz fehlt, die einstige Schule, die Geschäfte mit dem Angebot an koscheren Lebensmitteln.
Sie wollte damals ein paar Tage bleiben, aber es ging nicht. "Ich dachte die ganze Zeit, dass die Leute doch denken müssen: ,Was macht denn die hier? Warum ist sie nicht in Auschwitz?' Also: Es hat niemand etwas gesagt! Es war, was ich gedacht habe, was die Leute denken." Nach einem Tag fährt sie wieder - das nächste Mal nimmt sie ihre Kinder mit. Und dann, noch mal Jahrzehnte später, spricht sie das erste Mal vor einer Altonaer Schulklasse, erzählt aus ihrem Leben und beantwortet die Fragen der Schüler, wie die, warum die Deutschen die Juden eigentlich so gehasst haben.
Wieder bleibt sie fast stehen: Das sei eine Frage, die sie bis heute nicht beantworten könne, obwohl es dafür natürlich jede Menge auch plausibler und kluger Antworten gäbe. Das mit dem Hass beschäftigt sie sehr, wird sie doch immer wieder gefragt, ob sie nun die Deutschen hasse: "Also, das Wort Hass ist etwas, was in meinem Wörterbuch nicht existiert", sagt sie. "Man kann nicht mit Hass durchs Leben gehen - jedenfalls ich denke so. Ich glaube, dass wir gelernt haben, durch die zwölf Jahre, was Hass angerichtet hat."
Es sind junge Menschen, die dafür sorgen, dass es ihre Geschichte in Buchform gibt: Ihre Kinder drängen sie, ihre Lebenserinnerungen aufzuschreiben. "Ich habe das lange nicht gewollt, man durchlebt ja alles noch mal, die Angst, die Furcht, diese ganze Unsicherheit, wie es wohl am nächsten Tag weitergeht." Die Kinder lassen nicht locker. Und Anfang der 80er schließt sich Neumann daheim zweimal pro Woche für einen Nachmittag ein und schreibt ihr Buch.
100 Stück lässt sie davon drucken. Wen soll das denn interessieren? Doch es interessiert, im Nu sind die 100 Exemplare weg. Die nächste Auflage beträgt schon 500 Exemplare.
In der Bibliothek des Holocaust Museum in Washington DC, in dem sie aktiv ist, ist es das einzige Buch über Albanien, dem Land, in dem schätzungsweise hundert deutsche Juden, aber auch Juden aus dem damaligen Jugoslawien und Griechenland überlebt haben und das so das einzige Land wurde, in dem es nach dem Ende des Krieges mehr Juden gab als vorher. Ihr Buch gibt es mittlerweile auch auf Albanisch.
Eröffnung der Ausstellung "Stolpersteine und Angehörige/ Fotografien von Gesche-M. Cordes" mit Johanna Neumann: 30. 1., 19 Uhr, Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15 Podiumsgespräch "Umweg über Albanien - Die Geschichte einer ungewöhnlichen Rettung während der Shoah": 1. 2., 18 Uhr, Gästehaus der Universität Hamburg, Rothenbaumchaussee 34
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