Elya Maurice Conrad Änder Studies: Ein bedeutender Teil der trägen Mehrheitsgesellschaft politisiert sich. Das kann uns Hoffnung machen
Vor einem Jahr begann die erste Runde der Massendemonstrationen gegen die Deportationspläne der AfD. Im Nachhinein kann man sagen: Einfluss auf die Umfragen hatten sie kaum. Oft stand der Vorwurf im Raum, es handele sich um die üblichen Verdächtigen, die sonst auch demonstrieren, für Klimaschutz, für Seenotrettung und eben auch gegen rechts. Und heute erklimmen Rechtsextreme vor unseren Augen die Logen der Macht. Queere Menschen stehen einer Menge an Gewalt und staatlicher Repression gegenüber, die mir Angst macht.
Ist also alles vergebens? All die Ausrufungen von „Widerstand“, die Lobpreisungen der Demos gegen Rechts und die verzweifelten Hilferufe in sozialen Medien? Nein. Es gibt vieles, was mir politisch gerade Hoffnung macht.
Jetzt gibt es erneut Demos. Diesmal gegen die Union und ihre Pläne, mit der AfD im Bundestag zu stimmen. Dass Friedrich Merz zumindest mit seinem Gesetzvorhaben am Ende scheiterte, ist der direkte Erfolg einer lauten Zivilgesellschaft. Vielleicht nur ein Etappensieg, aber immerhin ein Sieg.
Es scheint, als politisiere sich gerade ein bedeutender Teil der bisher trägen Mehrheitsgesellschaft. Besonders eindrücklich sieht man das an den Zuwächsen, die Parteien erhalten. In den Tagen nach dem Schulterschluss von CDU und AfD im Bundestag traten der Linken und den Grünen jeweils tausende Menschen bei.
Mehr Mitgliedsbeiträge und ein paar Demos retten nicht die Demokratie. Das denkt hoffentlich auch niemand. Aber eine Parteimitgliedschaft ist auch mehr, als mal was bei einer Onlinepetition zu unterzeichnen. Insofern halte ich diese Zahlen für vergleichsweise gute Messinstrumente. Und die Messung sagt: Es bewegt sich ein Teil unserer Gesellschaft vom Unpolitischen hin ins Politische. Neue Leute begeben sich in politische Kämpfe und progressive Kräfte scheinen dabei wieder attraktiv zu werden.
Das bemerke ich in meinem unmittelbaren Freund*innenkreis und selbst in meiner Familie. Neulich fragte mich meine Schwester: In welcher Partei soll ich mich jetzt engagieren? Was kann ich tun, damit die Nazis nicht gewinnen? Zwei Freund*innen streben ein kommunalpolitisches Mandat an. Auch das macht mir Mut. Immer mehr Menschen beginnen zu begreifen, was auf dem Spiel steht. Das Private wird politisch, und diesmal nicht nur in den Köpfen derjenigen, die das schon immer gesagt haben. All das macht den Faschismus nicht zu einer geringeren Bedrohung, aber es ist die Grundlage, die wir brauchen werden, wenn wir gewinnen wollen. Und ich will gewinnen!
Man könnte erwidern: Was nützen uns dreimal so viele Basismitglieder in irgendwelchen Parteien? Oder was können fleißige Kommunalpolitiker*innen schon ausrichten? Was interessiert das die Faschisten? Aber ich glaube durchaus, dass es sie interessieren wird. Das politische Angebot der Rechtsextremen ist ja geradezu das Gegenteil der politischen Arbeit, wie sie in Demokratien üblich ist.
Parteien sind den faschistoiden Bros dieser Welt suspekt, sie nutzen sie maximal als Vehikel für ihre Pläne. Wenn wir also etwas anbieten wollen, muss das ein radikal demokratischer Gegenentwurf sein, der natürlich auf diesem Grundprinzip fußt. Und dabei geht es nicht mal um die Parteien als solche, sondern für das, was dahinter steht. Denn wenn man davon ausgeht, dass die Demokratie mobilisierbar ist, dann muss diese Mobilisierung wohl so aussehen. Ich bin ja immer noch Optimist*in.
Elya Maurice Conrad, 24, ist Klimaaktivist*in, Rapper*in und Software Engineer*in.
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