: „Eltern vergessen nicht“
Allen Protesten zum Trotz beginnt heute mit dem Schulstart das neue Lehrer-Arbeitszeitmodell. Um Kinder und Lehrer zu schonen, greifen Schulleitungen zu „kreativen Lösungen“, sagt die Elternkammer-Vorsitzende Sabine Bick im taz-Interview
Fragen: KAIJA KUTTER
Heute beginnt die Schule. In 2002 verlief der Schulstart trotz großer Proteste im Vorfeld gegen Kürzungen relativ ruhig. Nun kommt das Lehrerarbeitszeitmodell hinzu. Wird sich wieder alles irgendwie einrenken?
Sabine Bick: Ob sich das einrenkt? Mal gucken. Mir sind Grundschulen bekannt, die zu sehr kreativen Lösungen greifen und sich nicht an die Buchstaben des Modells halten. Dort rüttelt sich das vielleicht irgendwie zurecht. Andere halten sich strikt an die Vorgaben und machen nur noch, was sie müssen. Da haben die Schüler das Nachsehen.
Was heißt ‚kreative Lösungen‘?
Das Arbeitszeitmodell soll ja fehlende Lehrer besser verteilen. Wir bräuchten mehr als die jüngst von der Behörde begrüßten 323 Lehrkräfte, die überwiegend nur pensionierte Kräfte ersetzen. Es gibt Pädagogen, die Mehrbelastung aushalten. Es gibt aber auch welche, denen man es nicht zumuten kann, 30 Stunden vor der Klasse zu stehen. Die wären schlicht überfordert, und das ist schlecht für die Kinder. Um diese Kollegen auf ihre erforderliche Arbeitszeit zu bringen, lassen sich manche Schulleitungen was einfallen.
Tun Ihnen die Lehrer leid?
Das ist der falsche Begriff. Ich sehe, dass dieses Modell Unfrieden stiftet und nicht motiviert, weil es überwiegend ein Sparmodell ist.
Was gibt es noch für Lösungen?
Die Behörde will per Richtlinie die Zahl der Klassenarbeiten senken. Das bedeutet weniger Korrekturen, die Lehrer kämen mit ihren zu knapp bemessenen Korrekturzeiten besser hin.
Und? Finden Sie das gut?
Natürlich nicht. Wir sind sehr dagegen. Dies mindert die Chancen der Schüler, schlechte Noten auszugleichen. Nicht jeder ist immer gleich gut drauf. Es gibt immer mal eine Arbeit, die daneben geht.
Hamburg soll mehr Klausuren als andere Länder haben.
Ist mir nicht bekannt. Und ich habe Schulerfahrungen in drei verschiedenen Bundesländern hinter mir. Große Probleme sehe ich auch für die Oberstufen. An der Schule meines Sohnes kam bei der Vorwahl nur in Biologie die erforderliche Basisfrequenz zustande. Alle anderen Kurse können nur unterfrequent angeboten werden, was für den Lehrer eines 5-stündigen Leistungskurses bedeutet, dass nur 4 Stunden zählen und er eine Stunde zusätzlich geben muss. Das ist eine deutliche Mehrbelastung.
Es gibt die Lösung der Profiloberstufe, die sich auf eine Fächergruppe beschränkt.
Na, da kommt die Information für die Eltern aber sehr kurzfristig. Wenn ich das von vornherein weiß und mein Kind an einer solchen Schule anmelde, okay. So aber kann es nun passieren, dass Oberstufenschüler drei verschiedene Schulen anlaufen müssen, um die notwendigen Kurse zusammen zu bekommen.
Was raten Sie dem Senator? Soll er das Modell zurückziehen?
Dafür ist es jetzt zu spät. Wir haben immer gefordert, es nur in einem Gebiet auszuprobieren, wie es bei der Verlässlichen Halbtagsschule auch gemacht wurde. Nun heißt es, das ganze sei ein zweijähriges Pilotprojekt. Das regt mich auf. Kinder gehen nur einmal zur Schule. Wenn ich in einem Unternehmen nach zwei Jahren feststelle, etwas war Mist, kann ich die Akten nachbearbeiten oder Werkstücke korrigieren. Den Kindern, die jetzt zur Schule kommen, fehlt später was. Das lässt sich nicht korrigieren.
Also was tun?
Wir werden als Eltern sehr aufmerksam beobachten, wie sich die Zustände an den Schulen entwickeln. Wo es Defizite gibt, muss nachgesteuert werden. Da müssen mehr Personen in den Schuldienst.
Sie haben seit dem Regierungswechsel etliche Stellungnahmen abfassen müssen. Das hat wenig bewirkt. Können Sie es da nicht gleich lassen?
Es hat nur wenig bewirkt, aber wir können es nicht lassen. Eine demokratisch gewählte Regierung hat das Recht, Dinge zu verändern. Unser Recht ist, dies kritisch zu hinterfragen. Die Tatsache, dass sich der Senator über alle Proteste von Eltern hinwegsetzt, kann politische Folgen haben. Das wird von den 220.000 Eltern dieser Stadt bis zur nächsten Wahl nicht vergessen.