: Eltern ohne Hobbys
Was macht ihr denn hier?“ Flora sieht uns gar nicht erfreut an. Wir waren im Lindencenter in Berlin-Hohenschönhausen, nach Ohrringen für Marie und Büchern für Flora schauen. Bald ist Weihnachten. Auf dem Rückweg kommt man an der Sportanlage vorbei, wo Flora Leichtathletiktraining hat. Heute sogar draußen, weil es erstaunlich mild ist. Wir dachten, wir sagen mal Hallo. Die Begeisterung hält sich in Grenzen.
„Ihr wollt jetzt aber nicht bleiben, oder?“ „Warum nicht?“, fragt Johanna. Ich deute auf die Tribüne. „Da sind doch noch mehr Mütter und Väter.“ „Mama, Papa“, sagt Flora und senkt ihre Stimme. „Das sind hobbylose Eltern. Die sitzen da bei jedem Training. Selbst wenn es regnet.“ „Ist das schlimm?“, fragt Johanna. „Schaut sie euch doch an.“
Wir schauen. Alle sehen sie rüber zu Floras Trainingsgruppe. Alle haben sie glänzende Augen. Kein Einziger sieht auf sein Smartphone. Das ist doch schön, denke ich.
„Für die gibt es nur ihre Kinder“, sagt Flora. „Vielleicht hatten sie mal ein eigenes Leben. Aber jetzt nicht mehr.“ „Sie spricht von uns“, flüstere ich Johanna zu. „Sie weiß es nur nicht“, flüstert sie zurück. „Die steuern direkt auf eine Katastrophe zu“, sagt Flora. „Eine Katastrophe? Warum?“, fragen Johanna und ich durcheinander. „Ihre Kinder verlassen irgendwann das Haus. Und sie bleiben zurück. Ohne Hobbys. Ohne Plan B. Die fallen in Riesenlöcher.“„Oh no“, sagt Johanna. Ich sehe das Entsetzen in ihren Augen. Und spüre es selbst.
„Ihr seid ja ein Glück anders“, sagt Flora. „Macht weiter euer Ding. Und ich mach mein Ding. Okay?“ „Okay“, sage ich mit fester Stimme. Johanna nickt ein bisschen zu heftig. Flora geht zurück zur Weitsprunggrube. Wir sehen ihr hinterher. „Gestern habe ich ihr noch die Windeln gewechselt“, sage ich. „Und ich habe sie gestillt“, sagt Johanna. „Time flies.“ „So fast.“ Daniel Klaus
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