: Elfen-Transmitter im Legoland
Zeit der Nachdenklichkeit: Beim 17. European Media Art Festival in Osnabrück herrscht eine Atmosphäre spielerischer Medien-Grübelei
aus OsnabrückWilfried Hippen
Ein Mann holt in einem Laden seine entwickelten Fotos ab, schaut sie sich zuerst auf der Straße und dann in einem Cafe an und sieht – sich selbst. Wie er seine Fotos abholt. Mit ihnen den Laden verlässt, sie aus dem Kuvert zieht, verdutzt betrachtet. Mit jedem Bild rücken Aufnahme und Ansehen einander zeitlich näher, bis beide synchron sind. Der drohende Überholvorgang versetzt den Helden in Panik. Zygose heißt der Studenten-Kurzfilm von Gonzalo Arrila. Zu sehen war er in einem der Programme des 17. European Media Art Festival in Osnabrück, wo er den Preis der deutschen Filmkritik erhielt.
„Wir leben immer in der Vergangenheit. Wenn unsere Sinne und unser Gehirn die Eindrücke der Außenwelt verarbeitet haben, sind sie ja schon vorbei“, erklärte Peter Kubelka in seinem im wahrsten Sinne des Wortes grundlegenden Vortrag. Tiefschürfend und doch erstaunlich witzig leitete er die Geschichte der Künste im Allgemeinen, und im besonderen die seiner eigenen Experimentalfilme, von steinzeitlichen Artefakten her. Dabei ist es kein Zufall, dass der Satz des Vortrags wie ein Kommentar zum Film wirkt, ohne es zu sein: Ähnlicher Assoziationen konnte man sich zwischen Mittwoch und Sonntag in Osnabrück öfter erfreuen. Die Sender der Programmkoordinatoren waren offensichtlich fein aufeinander abgestimmt – das Festival-Motto Transmitter verpflichtet eben. Das gilt auch für die Begleitausstellung, deren spielerische Installationen noch bis zum 23. Mai im Schiff der Dominikanerkirche zu sehen sind. Dort lassen sich mithilfe von Agnes Meyer-Brandis Elf Scan die winzigen Elfen in steinernen Bohrkernenaufspüren. Auf einem Display sichtbar gemacht, erkennt man, wie sie mitten im Stein Schlittschuh laufen oder Karussell fahren. Ken Feingold hingegen lässt in seiner Video-Installation Animal, Vegetable, Mineral diese drei ein Gespräch miteinander führen. „Ein Kunstwerk ist wie ein Eisberg, der sichtbare Teil ist nur klein, doch was unter ihm liegt, ist oft schwer zu ergründen und kann gefährlich werden“ sagte der US-Amerikaner bei der Präsentation und lieferte damit vielleicht die zentrale Metapher nicht nur seiner Installation sondern des ganzen Festivals.
Denn vieles wirkte hier zwar auf den ersten Blick vor allem kurios. Doch ließ man sich auf das jeweilige Werk ein, stieß man auf unerwartete Tiefen. Angenehm: Großsprecherische Manifeste fehlten dieses Mal ebenso wie multimediale Sensationen. Statt dessen wurde viel über die Medien selbst reflektiert. So war es nur konsequent, dass der von einer internationalen Jury verliehene Emaf-Award an den ursprünglich gar nicht nominierten Dokumentarfilm Das Netz von Lutz Dammbeck ging. Der von Information fast überquellende, aber stilistisch souverän inszenierte Film erzählt von den Ursprüngen des World Wide Web in der kalifornischen Hippiekultur der 1970er-Jahre. Und darüber, warum aus dem brillanten Mathematiker Ted Kacyznski der mit Briefbomben gegen die Medientechnologie kämpfende so genannte Una-Bomber wurde.
Besonders schön und erhellend war es immer dann, wenn die Emaf-Organisatoren auf „media art“ stießen, die von den Machern nie und nimmer als Kunst bezeichnet worden wäre. So gibt es zum Beispiel eine weltweite Subkultur eifriger Filmemacher, die in ihren Werken Legosteine lebendig werden lassen. Weil diese Brickfilms zwangsläufig mit minimalistischsten Mitteln animiert werden, kommt man anhand der auf den ersten Blick rührend naiven Lego-Adaptionen von Kubrick’s 2001 oderHitchcock’s Psycho schnell auf die essenziellen Fragen des Filmemachens. Ähnlich radikal in seiner komplexen Einfachheit ist das Projekt Blinkenlights des Berliner Chaos Computer Clubs, das Initiator Tim Pritlove auf dem Kongress präsentierte. Bei dem Projekt wurden die 14 Fenster einen Hochhauses am Alexanderplatz in einen riesigen Bildschirm verwandelt. Auf diese 14 Pixel konnte jeder per Telefon die eigenen Werke, Liebesbriefe oder Ping-Pong-Spiele übertragen: Blinkenlights wurde nicht nur ein riesiger Erfolg, sondern war auch eindeutig Kunst. Nur wer ist der Autor?
Das wäre wieder eine Frage für Peter Kubelka gewesen, der mit einer Retrospektive geehrt wurde. Auch sein neuester Film Dichtung und Wahrheit hat im Grunde keinen Autor. Er besteht aus Fundstücken: lauter Aufnahmen aus Werbefilmen, in denen man sieht, wie sich Menschen in Schauspieler verwandeln, sobald der Regisseur „Action“ ruft.
Im gleichen Programm zeigte Kubelka auch sein Debüt Mosaik im Vertrauen, ein Werk, dessen formale Sprengkraft nur mit Luis Buñuels Un chien andalou zu vergleichen ist. Der Österreicher wurde nicht nur im Entstehungsjahr 1955 für diesen Film von aufgebrachten Zuschauern verprügelt. Das gleiche passiert ihm immer noch – zuletzt vor vier Jahren in Seattle. Er trägt’s mit Fassung: „Ist es nicht schön, dass die Menschen sich noch so über Kunst aufregen können?“
In Osnabrück brauchte er allerdings Prügel nicht zu befürchten. Hier findet – Beispiele dafür gab’s bei den Kurzfilmprogrammen – jeder Streifen, und sei er noch so kryptisch, langweilig oder prätentiös, sein Publikum. Auch darauf können die Veranstalter stolz sein.