: Elefantenrunde
■ Guarneri-Quartett mit Haydn, Mozart und Beethoven in der Kleinen Glocke
Das Guarneri-Quartett hat sich mit vielen exzellenten Einspielungen, besonders von romantischen Kompositionen, einen internationalen Namen gemacht. Beim Konzert am vergangenen Montag standen mit Haydns op.20 Nr.5, Mozarts KV 428 und Beethovens op.127 zwei Werke der Wiener Klassik und eines der Frühromantik auf dem Programm. Der Ruhm der Komponisten wie Interpreten sorgten sowohl für einen vollen Saal als auch für hohe Erwartungen.
Was die erfahrenen Herren aber dann darboten, war von einer differenzierten Wiedergabe dieser Meilensteine der Kammermusik weit entfernt. Ohne einen prüfenden Blick ins Programmheft wäre z.B. das Haydn-Quartett (komponiert 1772) stilistisch gesehen vom folgenden Mozart (1783) gar nicht und vom späteren Beethoven (1822/24) kaum zu unterscheiden gewesen: schwerfällig-wuchtig das Moderato des Einleitungssatzes, täppisch-ländlerisch das graziös komponierte Menuett, süßlich-triefend das Adagio. Lähmender (lärmender) Höhepunkt war die abschließende, zweithematige Fuge (lateinisch „fugare“=“fliehen“; hier „flieht“ eine Stimme vor der anderen, wird von ihr eingeholt, mit ihr verwoben, variiert). Sie hatte weder etwas grazil-barockes, noch klassisch-leichtes, sondern klang eher nach einer Verfolgungsjagd in schweren Stiefeln. Der einzige Fluchtgedanke war mein eigener.
Bei Mozarts KV 428 wechselten die beiden Violinisten, Arnold Steinhardt und John Dalley, die Führungsrolle. Leider wurden die nur leichten Intonationsprobleme im ersten Stück nun unüberhörbar. Es wurde fast kontinuierlich sehr legato gespielt — die einzelnen Töne gingen ohne Absetzen ineinander über. Dabei kam es oft zu einem unangenehmen „Herantasten“ an die richtige Tonhöhe oder zu schleifenden Übergängen. Ansonsten waren die gleichen Charaktermerkmale in der Interpretation zu beobachten wie beim Haydn-Quartett, wobei der 3/4-Takt des Menuetts so sehr betont wurde, daß die Assoziation zum Wiener Walzer nur allzu nahe lag.
Jeder Künstler hat das Recht, ein Werk nach seiner Überzeugung auszulegen. Doch ließ sich beim Guarneri-Quartett der Eindruck nicht vermeiden, daß das romantische Klangbild keine Absicht war, sondern ebenso Ergebnis einer überholten Auffassung der Spielweise wie auch der Unlust der Musiker, die feinen Nuancen herauszuarbeiten. Auch beim abschließenden Beethoven- Quartett op.127 drängte sich der Gedanke auf, daß die interpretatorischen Ansätze um 50 — 100 Jahre zu spät gewählt waren. Trotz aller zukunftsweisenden kompositorischen Fähigkeiten des Altmeisters war er immer noch in der Klassik verankert. Doch am Montag Abend wurde er, zumindestens vom Klangbild her, zum Spätromantiker oder gar zum Klassischen Modernen gemacht.
Es ist aber wohl eher der nachlassenden Konzentration der Musiker als der Vorraussicht des Komponisten zuzuschreiben, daß manche Stelle eindeutig atonalen Charakter hatte. Deutlich gesagt: zumindest im Finalsatz erklang mehr als eine falsche Note! Dadurch wurden leider auch die versöhnlichen Empfindungen, die im Adagio äußerst gefühlvoll geweckt worden waren, wieder gründlich zerstört. Das Bremer Publikum zollte dem Quartett genau den Beifall, den es verdiente: es trampelte!
Thomas Knocke
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