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Elbstint auf der Kippe

Die Elbfischer fangen immer weniger der kleinen Fische, die eine Schlüsselart für das Ökosystem sind. Wissenschaftler sorgen sich um die Flussseeschwalbe. Was das mit den Elbvertiefungen zu tun hat, soll nun erforscht werden, aber die Bagger sind schon wieder am Start

Von Jana Eggemann

Die Zukunft der Elbfische sieht düster aus – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn das Wasser wird immer trüber, die Sicht schlechter. Besonders kritisch ist das für den Stint. „Der Stint muss sehen, um zu jagen“, sagt Veit Hennig. Er ist Ökologe und arbeitet seit 21 Jahren am Institut für Zoologie, Tierökologie und Naturschutz der Hamburger Uni. Seit fünf Jahren befasst er sich mit dem Stintbestand in der Elbe. Er ist besorgt: Die Stintzahlen in der Elbe sind dramatisch zurückgegangen.

Dabei ist der kleine Fisch auch für die anderen Tierarten in und um die Elbe wichtig „Der Stint ist eine Schlüsselart wie der Regenwurm.“ „Wenn der verschwindet, verschwinden auch viele weitere Arten mit ihm“, warnt Hennig. So ernähren sich neben größeren Fischarten wie Zander und Aal auch Zwergmöwen und Komorane von ihm. Besonders hart habe es jetzt schon die Flussseeschwalbe erwischt, sagt Hennig. Die brütet an der Tideelbe und füttert ihren Nachwuchs hauptsächlich mit jungen Stinten. Weniger Stinte bedeuten auch weniger überlebende Flussseeschwalben. 2014 lebten hier noch etwa 2.400 Tiere, im letzten Jahr zählte Hennig gerade einmal 250.

Die Hamburger Umweltbehörde verweist auf Anfrage auf die im vergangenen November gegründete „Initiative Elbfische“. Die solle klären, ob die Veränderung des Stintbestands „auf einen verminderten Fortpflanzungserfolg oder auf ein unzureichendes Nahrungsangebot zurückgeführt werden kann“. Die Untersuchung solle auch mögliche Maßnahmen zur nachhaltigen Förderung der Fischfauna ergeben.

Teil der Initiative ist – neben städtischen Behörden, dem Deutschen Fischerei-Verband, dem Angelsport-Verband Hamburg und der Berufsfischerei – auch Ralf Thiel vom Centrum für Naturkunde der Uni Hamburg. Thiel beschäftigt sich bereits seit den 90er-Jahren mit dem Stint. Es müssse zwar noch geforscht werden, sagt er, es gebe aber „keinen Zweifel daran“, dass die Stintpopulation abgenommen habe. Wie Ökologe Hennig verweist auch Thiel auf verschiedene Faktoren und Zusammenhänge als Ursache. Ein Faktor: „Die Verschlickung der Flachwassergebiete hat zugenommen.“ Die seien aber wichtig für die Stintlarven. Einerseits dienen sie als Rückzugsgebiet, andererseits lebt hier auch der Ruderflusskrebs, die Hauptnahrung der Larven. Beide Wissenschaftler führen die Verschlickung teils auf die vergangenen Elbvertiefungen zurück.

Ein weiteres Problem seien sogenannte Sauerstofflöcher in den tieferen Gebieten der Elbe. Der überdurchschnittlich warme Sommer und die immer tiefer werdende Fahrtrinne im Fluss führten zu einem niedrigen Sauerstoffgehalt. Je tiefer das Wasser ist, desto trüber wird seine Farbe. „Die Algen in den tieferen Gebieten produzieren dann keinen Sauerstoff mehr, sondern verbrauchen ihn“, sagt Thiel. Als Folge können die Fische in diesen Bereichen nicht mehr atmen.

In der Praxis bemerken die Fischer den Rückgang des Stints, der ihnen immer seltener in die Netze geht. Wilhelm Grube fischt auf der Oberelbe zwischen Hamburg und Lüneburg nach den kleinen Fischen. „Wir fangen vielleicht noch 20 Prozent von dem, was wir vor zehn Jahren gefangen haben“, sagt der 63-Jährige. Er ist Fischwirtschaftsmeister, fing seine ersten Stinte bereits mit acht Jahren, um sich ein bisschen Taschengeld dazuzuverdienen. Er schimpft über die ständige „Umrührerei“ im Boden der Elbe. Damit meint er die Baggerschiffe, die konstant damit beschäftigt sind, die Fahrrinne frei zu halten. Der entfernte Schlick wird dann von der Flussströmung wieder zurückgetrieben. Hennig nennt das eine „Sisyphusarbeit“, die die Trübung des Wassers verstärke.

Was dem Stint wehtut

Sauerstofflöcher in der Elbe schnüren dem Stint und anderen Fischen die Luft ab. Sie ersticken. Diese Löcher entwickeln sich unter anderem durch die immer tieferen Fahrtrinnen der Schiffe.

Der Klimawandel sorgt mit steigenden Temperaturen für Sauerstoffmangel in der Elbe. Das verstärkt die Entstehung von Sauerstofflöchern.

Die Flachwassergebiete nehmen ab, dadurch fehlt dem Spint ein wichtiger Rückzugsort, an dem seine Larven aufwachsen.

Die Trübung des Wassers nimmt den Stinten die Sicht, sie können nicht mehr jagen. Sie entsteht unter anderem durch die Entschlickung der Fahrtrinnen durch große Baggerschiffe.

Das Kraftwerk Moorburg hat von 2015 bis 2017 seine Kühlung über den Fluss betrieben. Dabei starben pro Kühlung etwa 60 Tonnen Stint.

Grube ärgert vor allem die Ignoranz der Politik. „Wir Fischer merken so ein Problem zuerst und sind die letzten, die berücksichtigt werden.“ Vor zehn Jahren fing er noch mehrere Tonnen Stint am Tag, heute sind es 400 Kilogramm. „Das reicht noch für mein eigenes Restaurant“, sagt er. Andere Restaurants beliefere er kaum noch. Er macht sich Sorgen um seine Existenz. „Wir stehen mit Tränen in den Augen am Ufer.“

Genau wie Grube ist auch Hennig besorgt um das Ökosystem der Elbe. Er spricht von einem „Tipping-Point“. Bis zu einem bestimmten Punkt könnten sich die Stintbestände von alleine erholen, danach wird es kritisch.

Das scheint die Politik nicht zu interessieren. Gerade haben die Arbeiten für die neuerliche Elbvertiefung begonnen. Sie wird nach Schätzungen wohl knapp eine Milliarde Euro kosten.

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