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Archiv-Artikel

El Niño: Die Klimaschaukel im Pazifik

US-Forscher ermitteln anhand von fossilen Korallen den Verlauf des Wetterphänomens El Niño während der letzten tausend Jahre. Ihr überraschendes Ergebnis: Die heftigsten auf El Niño zurückzuführenden Wettersprünge gab es im 17. Jahrhundert

Die neuen Klimadaten aus der Vergangenheit relativieren die Gegenwart

von HEIKE LANGENBERG

Als die schicke Jacht vor den weißen Sandstränden der Insel Kiritimati im tropischen Pazifik beidrehen musste, sank die Hoffnung der Besatzung. Aber Kim Cobb, derzeit am California Institute of Technology tätig, und ihre Kollegen hatten keine Cocktails an sonnigen Stränden im Sinn. Auf der Suche nach dem Klima der Vergangenheit hatten sie vorgehabt, die fossilen Korallenablagerungen auf der Insel zu beproben. Das Projekt schien gescheitert. Beamte vor Ort hatten versucht, eine Freifahrt auf dem schnittigen Forschungsschiff herauszuschlagen, indem sie Schwierigkeiten mit der Forschungserlaubnis machten.

Der Rückzug auf die nahe, US-eigene Insel Palmyra stellte sich aber als Glücksfall heraus und rettete die Expedition. Anhand bislang unbekannter Korallenablagerungen auf der Insel konnten die Wissenschaftler das pazifische Klima für fünf Episoden im letzten Jahrtausend bestimmen. Wie Kim Cobb und ihre Koautoren gestern in Nature berichteten, tritt die größte Variabilität zwischen den Jahren 1635 und 1670 auf und nicht etwa unter dem Einfluss der Klimaerwärmung im späten 20. Jahrhundert.

Palmyra liegt im Zentrum der energiereichsten Klimaschaukel der Erde, El Niño. In wiederkehrenden Zyklen von drei bis sieben Jahren verlagern sich enorme Wärmemengen von einer Seite des äquatorialen Pazifik zur anderen.

Cobb und ihre Kollegen analysierten die Skelette fossiler Korallen, die wahrscheinlich während schwerer Stürme im letzten Millennium von ihren Riffen gerissen und an die Strände der Insel gespült worden waren. Die Isotopenverhältnisse von wachsenden Korallenskeletten ändern sich mit dem Salzgehalt und der Temperatur des Wassers. Ablagerungen aus verschiedenen Perioden geben so das zentralpazifische Klima in monatlicher Auflösung preis.

Die neuen Klimadaten aus der Vergangenheit relativieren die Gegenwart. Die gewaltigen El-Niño-Zyklen des späten 20. Jahrhunderts lagen demnach klar innerhalb der natürlichen Schwankungen, während sich das mittlere Klima durch menschlichen Einfluss erwärmte. Und innerhalb einer großen Bandbreite global gemittelter Temperaturen ist El Niño unabhängig vom mittleren Klima. Der Datensatz umfasst immerhin die mittelalterliche Wärmephase, die kleine Eiszeit und die globale Erwärmung der jüngsten Vergangenheit.

Der äquatoriale Pazifik funktioniert wie ein riesiges Schwimmbad. Die östlichen Passatwinde schieben beständig das von der Sonne erwärmte Oberflächenwasser auf die indonesische Seite, sodass vor Chile und Peru kaltes Wasser aus der Tiefe nach oben kommt. Alle paar Jahre schlägt El Niño zu: Wenn die Passatwinde nachlassen, bleibt warmes Oberflächenwasser vor Südamerikas Pazifikküste. Die resultierende Verschiebung von Wärme nach Osten verändert sowohl Klima als auch Ökologie auf beiden Seiten des Pazifik.

Wenn das Pendel zurückschwingt, bringt La Niña kaltes Wasser vor die Küsten von Südamerika, während sich auf der südostasiatischen Seite warmes Oberflächenwasser sammelt. Und schon ist das System startklar für den nächsten Zyklus.

Je nach Stärke des Ereignisses sind die Folgen dramatisch. 1997/98 gingen während der El-Niño-Phase Indonesiens Wälder in Flammen auf, nachdem die Dürre sie ausgetrocknet hatte. Gleichzeitig machten den Ländern auf der anderen Seite des Pazifiks Stürme und Überflutungen zu schaffen.

Die Auswirkungen beschränken sich nicht auf den pazifischen Raum: Während einer typischen El-Niño-Phase verzeichnen Argentiniens Maisbauern Rekordernten, der Regen im südlichen Afrika bleibt aus und die Nordstaaten der USA erfreuen sich an warmem und trockenem Winterwetter. Doch kein El Niño gleicht dem anderen. Schon die Vorhersage von El Niño ist nicht leicht. Weil jedes einzelne Ereignis vom Typischen abweicht, sind die weltweiten Auswirkungen kaum vorherzusehen.

Die pazifische Klimavariabilität ist nichts Neues. Baumringe in halbfossilen Stämmen, die vor 50.000 Jahren in einem chilenischen Moor versunken waren und vor kurzem wieder auftauchten, künden von ähnlichen Klimarhythmen.

Aber in dem Zeitraum präziser Messungen der Intensität von El Niño, in etwa dem letzten Jahrhundert, befinden sich die stärksten El-Niño-Ereignisse, 1982/83 und 1997/98. Die längste Phase dauerte von 1990 bis 1995. So weckte die Häufung von Superlativen im späten 20. Jahrhundert den Verdacht, dass die pazifische Klimaschaukel durch die globale Erwärmung zu neuen Höhen angeschoben werden könnte.

Es geht um eine Menge Geld. David Changnon, Geograph an der Northern Illinois University, USA, hat den ökonomischen Effekt des El Niño von 1997/98 auf die Vereinigten Staaten abgeschätzt. Er kommt auf die phänomenale Summe von 20 bis 22 Milliarden Dollar Gewinn durch Heizkostenersparnisse, günstige Bedingungen für die Baubranche und nicht zuletzt erhöhte Lust am Einkaufsbummel in den ungewöhnlich warmen und trockenen Nordstaaten. Dem stehen laut Changnon Verluste in Höhe von 4 bis 6 Millarden Dollar im Süden des Landes aufgrund von Sturm- und Überflutungsschäden gegenüber, aber auch Besucherausfälle in Disneyland sorgen für Verluste. Anderswo auf dem Globus wird die Gesamtbilanz sicher anders ausfallen.

Computermodelle, das einzige Instrument für einen Probelauf der Klimaänderung, sind bisher nicht sehr hilfreich gewesen. Verschiedene Modelle produzieren eine große Bandbreite von Antworten auf die Frage, was ein wärmeres Klima in Bezug auf El Niño bringen mag. Wer eine politische Agenda verfolgt, hat die freie Auswahl zwischen Modellläufen mit stärkeren, gleichbleibenden oder sich abschwächenden El-Niño-Zyklen.

Kim Cobbs fossile Korallen verzeichnen das Klima der Vergangenheit auf den Monat genau – und das für die letzten tausend Jahre. Bislang waren nur lebende Korallen, die bis zu hundert Jahre abdecken, für Klimastudien genutzt worden, denn fossile Korallen sind schwer aufzutreiben. Tote Korallen werden im Ozean schnell zersetzt und sind damit für Klimastudien verloren.

Innerhalb der neuen Klimarekonstruktion spielt El Niño nach seiner eigenen Melodie, ohne dass das mittlere Klima großen Einfluss darauf hätte. Das könnte erklären, warum die globalen Klimamodelle, die mit ihrer groben Auflösung Klimamittel besser simulieren als Klimavariabilität, so uneins sind, was die Zukunft bringen wird.

Es setzt sich ein breiter Konsens durch, dass aufgrund der globalen Erwärmung die klimatischen Extreme extremer werden. Laut der neuen Ergebnisse ist eine solche Tendenz weg vom Mittelmaß für El Niño zumindest bislang nicht festzustellen. Das wird uns allerdings nicht vor Regenfluten oder Dürreperioden anderer Ursache schützen.

Wie immer in der Forschung bleibt ein Fragezeichen. Streng genommen sollte das mittlere Klima aus unabhängigen Daten aus den Tropen gewonnen werden, während die Gruppe um Cobb mit der eigenen Rekonstruktion und mittleren Daten für die gesamte Nordhemisphäre vorlieb nehmen musste. Das mittlere tropische Klima des letzten Millenniums ist immer noch eine große Unbekannte.

Kim Cobb und ihre Kollegen möchten unbedingt weitere fossile Korallen analysieren, um auch die letzten Fragezeichen auszuräumen. „Das nächste Mal nehmen wir ein schäbiges, altes Forschungsschiff“, sagt Cobb in der Hoffnung, die Korallen auf Kiritimati doch noch beproben zu können.

Infos: www.nature.com/nature