Eishockeyteam warb für "Grünes Buch": Gaddafis deutscher Club
Der Eishockeyclub ECD Iserlohn machte in den 1980ern Werbung für Gaddafis "Grünes Buch". Manche klagen noch heute über die "Doppelmoral" in Sachen Libyen.
ISERLOHN/HEMER taz | Mitte der achtziger Jahre ist die alte Bundesrepublik im Eishockeyfieber. Die Jagd auf den Puck ist nach Fußball der beliebteste Mannschaftssport. Tausende stürmen zu Bundesliga-Spielen in die Eishallen - auch in der sauerländischen Provinz Iserlohn-Seilersee. Dort spielt der Bundesligist ECD Iserlohn, doch der steht einmal mehr vor der Pleite. Das Finanzamt fordert die Zahlung von 5,8 Millionen Mark alter Steuerschulden. Für die Saison 1986/87 gibt es weitere Forderungen.
Schon im März 1986 hatten deshalb Steuerfahnder die Geschäftsräume des ECD, aber auch die Wohnungen der in der ganzen Welt zusammengekauften Eishockey-Cracks durchsucht. Danny Gare, Profi der National Hockey League (NHL) Nordamerikas und ECD-Neuzugang, verschwand danach sofort wieder in die Heimat. Der tschechische Ausnahmespieler Jaroslav Pouzar, Weltmeister von 1976, fuhr seine Siebensachen aus Angst vor Pfändung über eine Woche mit dem Auto durch die Gegend.
Entsprechend schlecht ist die Stimmung, als sich im Oktober 1987 einige Herren aus Vereinsführung und Lokalpolitik treffen, um über die Rettung des ECD zu beraten. Unter ihnen sind nicht nur der Vereinsvorsitzende Heinz Weifenbach und der Anwalt Ingo Graumann, der dem ECD immer wieder als Vorstand und Pressesprecher diente. Mit am Tisch sitzt auch Hans Meyer, bis vor kurzem CDU-Bürgermeister des nicht einmal 40.000 Einwohner zählenden Iserlohner Nachbarstädtchens Hemer.
In dessen Vorort Deilinghofen war der Club 1959 gegründet worden, woran das "D" im Vereinsnamen ECD Iserlohn erinnert. Doch in der Herrenrunde macht sich schnell Hoffnungslosigkeit breit. Schließlich zahlt der rustikale Vereinsboss Weifenbach seine Top-Spieler längst nur noch sporadisch - mit Barem aus der Jackentasche. "Geld bekam, wer am lautesten schrie", erinnert sich einer, der damals dabei war.
Außerdem bürgt der gelernte Maurermeister Weifenbach persönlich für fast 4 Millionen Mark Schulden der Vereinssenioren - sein Geld hatte der Bauunternehmer im Boom der Sechziger und Siebziger gemacht. Danach rühmt sich der Schnauzbartträger, Deilinghofen werde vor Ort nur noch "Weifenhofen" genannt, weil seine Firma das halbe Dorf hochgezogen habe.
Jetzt aber ist auch Weifenbach am Ende. "Wir saßen herum und kamen nur zu einem Ergebnis", so Anwalt Graumann: "Wir brauchen einen von außen, der Kohle hat." Darüber sollten doch alle noch mal nachdenken, beschloss die Runde und vertagte sich. Und tatsächlich, erzählt Graumann heute, habe "schon nach drei, vier Stunden" das Telefon geklingelt. In der Leitung war Meyer: "Ich hab einen", habe der Christdemokrat gesagt - "Gaddafi! Denn kenn ich!"
Woher der ehemalige CDU-Bürgermeister von Hemer im Sauerland den libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi kannte, will heute niemand mehr genau wissen. "Das waren eben Meyers persönliche gute Kontakte", sagt Graumann. "Das war ein Mensch, der unheimlich offen war, der auf jeden zuging, der mit jedem ins Gespräch kam." Der 1914 geborene Meyer habe "internationale Kontakte" gehabt, bestätigt auch Michael Topp, Sportreporter des Iserlohner Kreisanzeigers (IKZ). Topp begleitet den Club, der unter dem Namen Iserlohn Roosters aktuell auf Platz 12 der Bundesligatabelle steht, seit mehr als einem Vierteljahrhundert.
Meyer schert sich offenbar wenig um politisch-ideologische Feindbilder. Denn gerade Gaddafi galt 1987 längst als Drahtzieher des Bombenanschlags auf die Berliner Diskothek "La Belle", bei dem ein Jahr zuvor zwei US-Soldaten starben und mehr als 250 Menschen schwer verletzt wurden. US-Präsident Ronald Reagan ließ darauf Libyens Hauptstadt Tripolis bombardieren.
Der hemdsärmlige CDU-Mann Meyer aber soll auch im damaligen "Ostblock", in der Sowjetunion, in Ungarn, in Jugoslawien, aber auch in China, Saudi-Arabien und der Türkei millionenschwere Aufträge für Geschäftspartner im Sauerland akquiriert haben. "Diese Gespräche bildeten einen wichtigen Motor für unsere Wirtschaft", lobte einer seiner Nachfolger als Bürgermeister noch mehr als zehn Jahre später.
Und die Kontakte des Christdemokraten ziehen auch fürs Eishockey. "Weifenbach und Meyer sind nach Libyen geflogen und haben da ordentlich gefeiert", sagt der Iserlohner ECD-Rekordtorschütze Jörg Schauhoff. "Die hatten ordentlich Alkohol dabei - obwohl da unten angeblich nichts getrunken wird." Wie Staatsgäste seien die beiden Provinzgrößen in Libyen behandelt worden, habe Weifenbach später erzählt: "Für die Autokolonne wurden alle Straßen freigemacht, die hatten Vorfahrt", sagt Schauhoff, der heute als Immobilienmakler arbeitet.
Das Ergebnis des gefühlten Staatsbesuchs ist ein spektakulärer Deal: Für zunächst 1,5 Millionen Mark soll der ECD Iserlohn Werbung für Gaddafis "Grünes Buch" machen. Die Schrift ist eine krude Zusammenfassung seines Gedankenguts, die in einer "Dritten Universaltheorie" als Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus gipfelt - der Despot zitierte gerade vor wenigen Tagen in einer TV-Ansprache wieder daraus.
Zur Vertragsunterzeichnung fliegt der Provinzklub Dutzende Journalisten nach Libyen. "Wir haben zwei Chartermaschinen vollgepackt", erzählt Exvereinssprecher Graumann. "Kalten Hammel" habe Gaddafi im Wüstenzelt servieren lassen, notiert der Spiegel. Am 4. Dezember 1986 läuft der ECD gegen den SB Rosenheim zum ersten und einzigen Mal mit Werbung für Gaddafis "Grünes Buch" auf. Die Partie wird prompt zum Skandal. "Gaddafi kauft deutschen Eishockey-Club", titelt der Kölner Express. Das "Heute-Journal" des ZDF schaltet live in das Spiel, die New York Times und zwei US-Fernsehteams berichten.
Zwar beteuerte Vereinsboss Weifenbach, er sehe "die ganze Sache unpolitisch" und Gaddafi sei "ein Schriftsteller", notiert ECD-Chronist Topp. In den Reihen der Bonner Bundesregierung dagegen herrscht Wut und Entsetzen. Der für den Sport zuständigen CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann schäumt: "Was zunächst wie ein Faschingsscherz aussah, ist eine eklatante Verletzung der politischen Neutralität des Sports." Und Eishockey-Bundestrainer Xaver Unsinn warnt, "der Sport" dürfe "kriminelle Elemente und den Terrorismus" nicht unterstützen.
Entsprechend wenig kooperativ geben sich die Steuerfahnder. "Die Libyer haben überwiesen", beteuert ECD-Vorstand Graumann. "Ich bin dann mit einem Koffer voll Geld zu den Beamten der Oberfinanzdirektion Münster gefahren." Die aber hätten sich nur "ganz kurz" beraten. Dann war klar: Die Steuerfahnder machen keinen Deal mit Gaddafis Millionen: "Die wollten unser Geld gar nicht", sagt Graumann heute - und klingt immer noch enttäuscht.
Denn nur wenige Tage später fliegt der ECD Iserlohn aus der Bundesliga, am 11. Dezember verkündet Insolvenzverwalter Winfried Andres die Zahlungsunfähigkeit. Und Weifenbach aber blamiert die Bundesregierung noch einmal: Der Baulöwe kommt mit der Deutschen Postreklame, einer Tochter des damaligen Staatsbetriebs Bundespost, ins Geschäft. 5.000 Postautos fahren danach mit Werbung für einen "Neuen Verlag - für ein besseres Leben" herum. Dessen einziges Produkt ist ausgerechnet - Gaddafis "Grünes Buch". Für die ECD-Fans ist Heinz Weifenbach spätestens jetzt Kult: "'Heinz aufs Eis' hieß es bei Heimspielen, 'Heinz aufs Gleis' bei Auswärts-Bahnfahrten", erzählt IKZ-Reporter Topp. Die Justiz aber habe "Weifenbach danach richtig in den Arsch getreten", klagt Anwalt Graumann: Der Exvereinschef wandert wegen Steuerhinterziehung für 27 Monate ins Gefängnis.
Natürlich sei Gaddafi "ein Verbrecher", natürlich stehe in seinem Buch "nur Schwachsinn", sagt Graumann heute - dennoch sei es ein Zeichen von "Doppelmoral", dass mit Libyen jederzeit Geschäfte gemacht wurden, dass libysches Öl jederzeit auch nach Deutschland geliefert, dass Gaddafi nach Aussöhnung mit den USA wieder hofiert wurde.
Dem "Eishockey-Verrückten" Weifenbach, der heute als Demenzkranker ein Pflegefall ist, sei es "immer nur um den ECD" gegangen. Mit der "Welle der Wut", die auf Weifenbach und Meyer nach dem verunglückten Deal niederging, habe niemand gerechnet - wie der Exvereinsboss wurde auch der 2007 verstorbene Meyer nach dem Skandal von vielen gemieden: Der Exbürgermeister trat während eines laufenden Parteiausschlussverfahrens aus der CDU aus. "Wir waren", sagt Graumann, "einfach viel zu naiv."
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