■ Einwurf, Auswurf: Headbanger's Ball
Vorbei sind die Zeiten, in denen Winfried „Winnie“ Schäfer zu Strafzahlungen verdonnert wurde, weil er an der Seitenlinie Beschwörungsriten abhielt. Der Karlsruher Coach und ähnlich hibbelige Kollegen müssen ihre Emotionen nicht länger verstecken: Das „Seitenlinien-Coaching“ genannte Hopsen, Wimmern und Schreien der Trainer während des Spiels ihrer Jungs wurde mit Beginn der neuen Bundesligasaison legalisiert. Eine Neuerung, die, gerade zwei Spieltage jung, bereits Anlaß zur Besorgnis bietet. Was ist mit Trainern wie Benno Möhlmann, der, auf der Suche nach einer körperlichen Entsprechung für die verpaßten Torchancen des HSV letzte Woche auf dem Karlsruher Grün nur eine überdimensionale Getränkedose fand, gegen die er seine Stirn stieß? Kann derart masochistisches Headbanging vor tausenden - auch minderjährigen - Zuschauern geduldet werden? Und was ist mit der „Bilanz ohne Deckung“ in der Halbzeit, die quasi erst durch den emotionalen Stau des Coaches ihre Wucht erhielt und Mannschaften wie verwandelt aus der Kabine schweben ließ? Wie soll der Trainer Wut und Trauer bis zur Pause konservieren, wenn er 45 Minuten reichlich Gelegenheit hat, diese ebenso gleichmäßig wie inflationär auf dem Rasen zu verteilen? Die Schlüsselfrage also lautet: Sind die Winnies, Bennos und Seppos reif genug für die neue große Freiheit?
Josef „Seppo“ Eichkorn jedenfalls, das ergaben sonntägliche Detailstudien am Millerntor, rationiert sein Wutpotential geschickt. Der 36jährige nahm zwar zu Beginn der Partie gegen Rostock auf einem eigens an der Seitenlinie postierten Clubheimstuhl platz, „die Sau“ - wie Insider hofften - ließ er jedoch nicht raus. Recht leise lamentierte er murmelnd vor sich hin, er focht, so wie er es eben gewohnt ist, seine Kämpfe innen aus. Nur ab und an schien ein „Das-darf -ich-ja-jetzt“ seine Kontrolle zu durchbrechen. Dann versuchte er, unterstützt von pinselig-zackigen Armschwenks, mit vorgeschobenem Becken und im Hals versenktem Kinn Instruktionen über das Spielfeld zu schicken. Doch selbst als sich sein von haus aus geröteter Nacken beim Schreien vor Anstrengung noch um zwei Nuancen verdunkelte, schauten seine Jungs nicht mal rüber. Machte nichts. Die pinkfarbenen Sterne auf seinen violetten Trainingshosen waren jedenfalls sehr gut zu erkennen. Etwa ein ausgeklügeltes geheimes Zeichen aus Tagen, in denen das Seitenlinien-Coaching noch verboten war?
Claudia Thomsen
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen