Einwanderung: Deutsch auf Rumänisch
Mit muttersprachlichen Lehrkräften will eine Grundschule Romakinder in den Schulalltag integrieren.
Mario* kann seine Augen kaum offen halten, er ist müde. Trotzdem sitzt er mit sieben Mitschülern in einem Kreis im Klassenzimmer. Gemeinsam grübeln sie über die Frage der Deutschlehrerin nach: „Was machen wir im Winter?“ Shana*, ein Mädchen mit langem geflochtenen Zopf, schlägt begeistert vor: „Wir schmücken den Tannenbaum!“ Alle schreiben es auf. Die Lehrerin flüstert Mario auf Rumänisch zu: „Ü – mit zwei Pünktchen!“
Deutsch-Förderunterricht für rumänische Kinder der sechsten Klasse an der Neuköllner Hans-Fallada-Grundschule, seit Mitte April wird er angeboten. Derzeit besuchen 420 Kinder die Grundschule, fast 90 Prozent von ihnen sind nichtdeutscher Herkunft. Und 90 Kinder kamen in den letzten drei Jahren aus Rumänien neu an die Schule – ohne jegliche Deutschkenntnisse.
Aber nicht nur das: Auch kulturelle Unterschiede hätten die LehrerInnen der Grundschule erst mal „überrumpelt“, sagt Schulleiter Carsten Paeprer. Deshalb stellte der Senat der Neuköllner Grundschule im vergangenen Jahr zwei Lehrkräfte rumänischer Herkunft für den Sprachunterricht zur Verfügung. Im April 2012 kamen noch eine rumänische und eine bulgarische Lehrkraft von der Volkshochschule Neukölln dazu. „Anfangs haben wir für die Familien Briefe übersetzt und Probleme mit den Behörden geklärt“, sagt Anita Wodatschek, eine der Lehrerinnen. „Dann mussten wir die Familien überzeugen, dass die Schule notwendig ist. Erst dann konnte die eigentliche Arbeit beginnen.“ Viele der Kinder konnten weder schreiben noch lesen, erinnert sich Wodatschek. Dies sei nach einem Jahr Unterricht nicht mehr so. Gäbe es diese Lehrkräfte nicht, würde der Alltag an der Schule nicht funktionieren, so der Schulleiter.
Seit Bulgarien und Rumänien der Europäischen Union angehören, wandern aus diesen Ländern verstärkt auch Roma nach Berlin. Genaue Zahlen lassen sich nicht ermitteln, da Einwanderer nach Staatsangehörigkeit, nicht nach ethnischer Herkunft erfasst werden - nach Angaben des Statistischen Landesamtes leben derzeit jedoch rund 17.300 Rumänen und Bulgaren in Berlin.
Dass auch an den Schulen die Zahl der Romakinder wächst, wird von den zuständigen Behörden grundsätzlich begrüßt. Die neuen SchülerInnen, in der Regel ohne Deutschkenntnisse und oft ohne Schulerfahrung, stellen die Berliner Schulen jedoch vor große Herausforderungen. 1.400 Kinder ohne Deutschkenntnisse werden nach Angaben der Senatsbildungsverwaltung derzeit in speziellen Lerngruppen betreut, die meisten davon in Neukölln und Mitte.
Die tatsächliche Zahl von Kindern und Jugendlichen ohne Deutschkenntnisse an den Berliner Schulen liegt jedoch höher, sagt Franziska Giffey, SPD-Bildungsstadträtin im Bezirk Neukölln. Mit 700 neu zugewanderten SchülerInnen rechnet allein ihr Bezirk in diesem Jahr. (akw)
Ein Junge zeigt stolz einen Trick mit Vokabel-Spielkarten. Dann soll er auf Deutsch erklären, wie der Trick funktioniert. Keine einfache Sache für ihn. Doch die anderen verstehen, was er meint – er strahlt vor Freude. Kaum dreht sich die Lehrerin um, fangen die Schüler ein rumänisches Fingerspiel an. Sie geht geschickt dazwischen: „Das haben wir auch in Bulgarien gespielt, erzählt mal, wie das geht.“ Und schon sprechen alle wieder Deutsch. „Oh, schade“, sagen die Sechstklässler, als es zur Pause klingelt.
Die nächste Gruppe kommt, Shana und Mario sind wieder dabei. Ihre Klasse sei gerade mit etwas beschäftigt, was die beiden sprachlich überfordern würde, erklärt die Lehrerin. Eine weitere Deutschstunde sei deshalb sinnvoller. „Es gibt keinen festen Plan, auf welchen Unterricht die Kinder verzichten, um in die Deutschstunden zu gehen“, sagt der Schulleiter. Man entscheide je nach Kind und Bedürfnissen – das sei am sinnvollsten.
* Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos