■ Standbild: Einst und jetzt
„Polizeiruf 110“, So. 20.15 Uhr, ARD, und 23.20 Uhr, 3 sat
Fünf Jahre nur liegen zwischen Helmut Nitzschkes Defa- „Polizeiruf“ „Der Einzelgänger“ und dem MDR-Produkt „Bruder Lustig“ von Friedemann Schreiter (Buch) und Thomas Jacobs. Im Arbeiter- und Bauernstaat war der „Polizeiruf“ eine Kuriosität. Durfte es doch dort eigentlich gar keine Verbrechen geben, die galten ja als Ausgeburt des Kapitalismus. Kriminaldelikte im DDR-„Polizeiruf“ waren also vergleichsweise harmlos. So auch in „Der Einzelgänger“, den 3 sat am Sonntag noch einmal zeigte, wo der Jugendliche Frank einen Passanten niederschlägt.
In „Bruder Lustig“ (ARD) dagegen geht es um Mord, Drogen und nebenbei noch illegalen Giftmüllexport. Der finanziell angeschlagene Kleinspediteur Lustig betrügt einen polnischen Drogendealer und wird von diesem ermordet. Der MDR-„Polizeiruf“ nimmt darauf eine Wendung, mit der er thematisch an seine DDR-Wurzeln anknüpft. Um den Mörder in eine Falle zu locken, übernimmt Lustigs älterer Bruder (widerwillig) die Rolle des Lockvogels. Worauf er die Festnahme beinahe verpatzt. Der Film endet mit dessen Eingeständnis: „Eigentlich bin ich immer ein Versager gewesen. Schlimm ist es nur, wenn man das plötzlich begreift.“
Diese tragische Einsicht wirkt weinerlich, sieht man sie nicht als stellvertretend für alle Versager, die in „Der Einzelgänger“ durch mangelnde Zivilcourage hervortraten. Alle haben gesehen, wie der halbstarke Frank an der Bushaltestelle den Passanten niederschlug (eine Szene, die hinsichtlich Kameraführung und Bilddynamik übrigens auf einem handwerklich sehr hohem Niveau gedreht ist). Und alle stehlen sich davon – worauf sie von ihrem schlechten Gewissen zerfressen werden.
Die innere Not in dem Moment, in dem es darum geht, gegenüber dem sozialistischen Kollektivterror individuelle Initiative zu ergreifen und Verantwortung zu übernehmen, ist das Thema dieses Defa-„Polizeirufs“, der mehr als nur nostalgisches Interesse weckt. Selbst wenn „Der Einzelgänger“ filmisch insgesamt viel statischer wirkt, ist er als Film doch verbindlicher, geschlossener als „Bruder Lustig“. Dort besteht zwischen der Versagerthematik und den zeitgenössischen Krimi- Genre-Topoi eine Kluft, die den Film unentschlossen, ja inkonsequent erscheinen läßt. Manfred Riepe
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