: Einsatz in der Moschee
AUS WÜLFRATH HENK RAIJER
Cem Kara hat schon, was gut 20 Jugendliche aus dem Kreis Mettmann sich wünschen: einen krisensicheren Job und „jede Menge Abenteuer“. Der Polizeikommissar aus Lüdinghausen im Münsterland hat Urlaub, ist aber an diesem Abend in der Wülfrather Fatih Moschee in vollem Ornat erschienen: die Dienstmütze unterm Arm, die Pistole im Halfter.
Cem Kara, ein 26-Jähriger mit dunklen Augen unter buschigen Augenbrauen und penibel gestutztem Kinnbart, macht bei der Nachwuchssuche in den Räumen des islamischen Vereins den Vorzeigemigranten in den Reihen der Polizei. Er ist in der Türkei geboren, spricht fließend Deutsch, hat Abitur gemacht und ist seit drei Jahren im Streifendienst für die Polizeiwache Ratingen im Einsatz. Warum ausgerechnet zur Polizei? „Da weißt du zu Dienstbeginn nie, wie sich der Tag entwickelt. Außerdem hast du ständig mit Menschen verschiedenster Schichten und Nationalitäten zu tun“, nimmt Kara die Werbebotschaft seines Vorgesetzten fast vorweg.
Polizeihauptkommissar Marten Harms bedankt sich als erstes beim Vorbeter der Fatih Moschee für die Gastfreundschaft und kippt einen Zuckerwürfel in den Tee, den ihm einer der anwesenden älteren Männer serviert hat. „Von der Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Nachbarn bis zur Terroristenfahndung hast du bei der Polizei die freie Auswahl“, macht Harms den fast durchweg männlichen Interessenten im spärlich dekorierten Kellerraum der Moschee das Abenteuer in Uniform schmackhaft. Voraussetzung für die Bewerbung um einen der jährlich 500 Ausbildungsplätze bei der Polizei in NRW seien Abitur oder volle Fachhochschulreife, körperliche Fitness, eine Körpergröße von 168 Zentimeter (Frauen: 163) sowie die mündliche Beherrschung der Muttersprache, sei dies Deutsch oder etwa Türkisch.
Respekt verschaffen
Seit 1993 ist die deutsche Staatsangehörigkeit keine Voraussetzung mehr für den Job bei den Schutzleuten von nebenan. „Wir wollen ganz einfach mehr Kandidaten mit einem anderen kulturellen Hintergrund bei der Polizei“, erklärt Harms seinem Auditorium die noch junge Strategie und verteilt Broschüren an den Tischen. „In NRW leben doch inzwischen Millionen Einwanderer, was liegt da näher, als eine repräsentative Präsenz auch bei der Polizei zu schaffen.“ Außerdem seien deutsche Kolleginnen und Kollegen bei „Auseinandersetzungen mit ausländischen Mitbürgern“ oftmals total überfordert. „Da können sich türkische oder russische Landsleute schon mal eher Respekt verschaffen.“
Harms, ein drahtiger Mittvierziger mit flachsblondem Haar, sucht seit fünf Jahren Kulturzentren und Moscheen in NRW auf, um Jugendliche mit Migrationshintergrund für den Polizeidienst zu begeistern und zu einer Bewerbung zu animieren. „Nach wie vor haben viele Migranten Hemmungen, von sich aus auf die Wache zu gehen“, sagt Harms, der in der Personalwerbung der Kreispolizeibehörde Mettmann tätig ist. „Deswegen informieren wir potenzielle Interessenten lieber dort, wo sie leben.“
Die Zahl der Bewerber mit Migrationshintergrund ist in NRW seit 2003 um durchschnittlich 200 auf mehr als 1.000 im vergangenen Jahr gestiegen. Von den rund 40.000 Polizeibeamten in NRW stammen nach Angaben des Innenministeriums etwa 600 aus Ländern wie Italien, Polen oder der Türkei. Sieben Prozent der neu eingestellten Polizisten sind inzwischen Einwanderer, zuletzt waren es 30 von 480 Studienanfängern. „Wir würden gerne mehr einstellen, aber viele kommen nicht durchs Auswahlverfahren“, bedauert Marten Harms. „Die sind zwar hoch motiviert und fit, aber es mangelt an Bildungsniveau und sprachlicher Kompetenz“, sagt der Hauptkommissar. Und meint damit auch die oft nur rudimentäre Beherrschung des Türkischen.
Hasan Dönmez sieht da für sich keine Probleme. Der türkischstämmige junge Mann, der in Dortmund geboren und mit 15 Jahren eingebürgert wurde, studiert zurzeit Maschinenbau, würde aber im Falle einer bestandenen Aufnahmeprüfung bei der Polizei sofort abbrechen. Sein Bruder sei im letzten Jahr zwar durchgefallen, zwei Freunde jedoch hätten es geschafft. „Klar, meine Eltern finden den Job eigentlich zu gefährlich, sie fänden es besser, wenn ich Ingenieur würde“, erzählt Hasan Dönmez, während er mit zwei Fingern der linken Hand an einzelnen Strähnen seines hoch gegelten Haares zupft und in den Broschüren der Kreispolizei Mettmann blättert. „Abenteuerlich“ und „krisensicher“ sind auch für den 21-Jährigen aus Velbert die Kriterien, die eine Laufbahn im Staatsdienst attraktiv erscheinen lassen. Einen Vorteil hätte er als türkischstämmiger Deutscher in Uniform allemal: „Ich glaube, ich könnte bestimmte Konflikte besser lösen, weil ich meine Landsleute auf Anhieb verstehe“, sagt er in makellosem Deutsch. Landsleute? Na, zum Beispiel Freunde von früher, von denen nicht wenige vorbestraft seien. „Aus diesen Kreisen habe ich mich rechtzeitig zurückgezogen“, sagt Hasan Dönmez und lächelt.
Lohn statt Studiengebühr
„Ein geeigneter Kandidat für den gehobenen Dienst“, urteilt Polizeihauptwerber Harms, der schon einen Blick in Hasan Dönmez‘ Unterlagen geworfen hat. Zwei Tage dauert das Auswahlverfahren für den nächsten Einstellungstermin am 1. September 2007. Geprüft werden im Frühsommer Gesundheit, Kondition, Intelligenz sowie sprachliche Kompetenz. Den früher so gefürchteten obligatorischen Sporttest gibt es nicht mehr. Dafür müssen die Kandidaten ein Deutsches Sportabzeichen und das Rettungsschwimmerabzeichen in Bronze beibringen.
Zwei junge Frauen am Kicker in der Mitte des Raums blättern jetzt etwas bedröppelt in den Broschüren. Zwei Minuten wird noch getuschelt, dann schultern die beiden etwa 18-Jährigen ihre Umhängetasche und bahnen sich einen Weg zum Ausgang. „Wer Einbrechern oder Castor-Gegnern hinterherwetzen und gleichzeitig Entscheidungen treffen muss, sollte schon aus Eigeninteresse vorab ein mehrwöchiges Ausdauertraining abgeleistet haben“, erklärt Marten Harms das Auswahlkriterium.
Und vollzieht einen Schwenk zum Ablauf der Ausbildung, die Kommissaranwärter mit dem akademischen Grad eines Diplomverwaltungswirts abschließen. Neben dem fachpraktischen Abschnitt erwerben die Studierenden Kenntnisse in Kriminologie, Kriminalistik, Verkehrsrecht, Strafprozessrecht und Staatsrecht, aber ebenso in Soziologie, Psychologie, Führungslehre und Ethik. Drei Jahre würden Studierende dabei von denselben Dozenten betreut, stellt Harms die Vorzüge gegenüber einer Ausbildung an einer herkömmlichen Uni heraus. Und: „Studiengebühren gibt es an der Polizeifachhochschule nicht, ihr kriegt sogar Geld dafür“, ködert er die durchweg türkischstämmigen Aspiranten mit einer Azubi-Vergütung von 900 Euro im Monat.
Vier Freunden im holzgetäfelten hinteren Teil des Zimmers kommt das Ganze offenbar zu theorielastig daher. Sie verabschieden sich höflich von den älteren Männern an den Tischen, stellen ihr Teeglas auf den Tresen und verlassen den Raum unter der Fatih Moschee. Zu früh, wie sich herausstellt, denn jetzt kommt Marten Harms zu den abenteuerlichen Aspekten des Polizeiberufs. „Als Polizist stehst du Tag für Tag mitten im Leben, bist überall ‘live‘ dabei und triffst die unterschiedlichsten, verrücktesten und ungewöhnlichsten Menschen“, wirbt Harms um Identifikation mit der Aufgabe. Dann aber: „Ihr werdet eher die dunkle Seite dieser Gesellschaft kennenlernen, Leichenteile einsammeln oder in Wohnungen Tote vorfinden, die schon von Maden heimgesucht werden. Das sind Erlebnisse, die nicht jede oder jeder so einfach wegsteckt.“
Eigenbrötler unerwünscht
Von den 15 jungen Männern, die geblieben sind, schaut jetzt keiner den anderen an. Jeder schaut möglichst entschlossen drein, sucht einen festen Punkt, findet ihn in Cem Kara. Der nickt zustimmend, der junge Kommissar, dessen Onkel und Cousin in Istanbul auf Streife gehen, hat in seinen wenigen Dienstjahren auch schon Einiges gesehen.
Hasan Dönmez fühlt sich in seinem Entschluss bestärkt, er will zur Polizei. Ein Großgewachsener in Lederjacke will von Harms wissen, ob es eine Empfehlung sei, wenn man schon bei der Bundeswehr war. „Ist es von Vorteil, wenn man mit der Waffe umgehen kann und schon zu gehorchen gelernt hat?“ Marten Harms unterdrückt ein Lachen nur mit Mühe und verweist auf die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen. Dann aber schiebt er nach: „Wir können nur Leute brauchen, die im Team arbeiten. Eigenbrötler bringen‘s bei der Polizei nicht weit.“