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Einsamkeitsgipfel in BerlinDie Leere in uns

Einsamkeit nimmt zu, besonders unter Jugendlichen. Mit Folgen und möglichen Lösungsansätzen beschäftigte sich der Einsamkeitsgipfel in Reinickendorf.

Graue Wände machen das Leben nicht bunter Foto: Lutz Wallroth/imago

Berlin taz | Berlin gilt als Hauptstadt der Einsamkeit. Je­de*r zehnte Ber­li­ne­r*in fühlt sich einsam und sozial isoliert. Reinickendorfs Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) lud deshalb am Montag Betroffene und Ex­per­t*in­nen zum zweiten „Einsamkeitsgipfel“.

„Einsamkeit ist sozialer Stress“, sagte der Psychiater Mazda Adli beim Gipfeltreffen im Rathaus Reinickendorf. „Sie entsteht dann, wenn die gewünschte Intensität von sozialer Einbindung in die Gemeinschaft nicht mit der realen übereinstimmt.“ Daher sei die Einsamkeit in Städten ausgeprägter. So lautete auch ein Befund des Einsamkeitsbarometers des Bundesfamilienministeriums aus dem Juni. Eine Risikogruppe sind demnach Alleinlebende. In der Single-Hauptstadt Berlin machen die rund ein Drittel der Be­woh­ne­r*in­nen aus.

Besonders betroffen sind zudem junge Menschen. „Die seelische Belastung der Pandemie hat Jugendliche härter getroffen“, sagt Mazda Adli. Während der Anteil der Einsamen im jungen und mittleren Erwachsenenalter von 2005 bis 2017 bundesweit stabil zwischen 14 und 17 Prozent lag, stieg er mit Beginn der Pandemie auf 41, später auf 47 Prozent an. Auch in Berlin finden sich die höchsten Einsamkeitswerte mit über 40 Prozent bei den 18- bis 25-Jährigen.

Dennoch richten sich die Programme mehrheitlich an ältere Menschen. Auch beim Einsamkeitsgipfel steht die Altersgruppe der Se­nio­r*in­nen im Fokus. Bei einem Folgegipfel im kommenden Jahr soll der Schwerpunkt aber auf Jugendlichen liegen, kündigte Demirbüken-Wegner an.

Reinickendorf hat erste Einsamkeitsbeauftragte

Reinickendorf gilt als Vorreiter bei der Bekämpfung von Einsamkeit. Der Bezirk hat bundesweit als erste Kommune seit Februar eine Einsamkeitsbeauftragte, die im Kiez vorhandene Projekte unterstützt und koordiniert. Nachdem die erste Amtsinhaberin im Juli unerwartet das Bezirksamt verlassen hatte, wurde der Posten mit dem der Ehrenamtsbeauftragten Katharina Schulz zusammengelegt, die seitdem für beide Bereiche zuständig ist.

Zu den existierenden Projekten gehört die AG Einsamkeit-Exit, eine Plattform, auf der Expertisen gebündelt werden, um Projekte und Maßnahmen für Rei­ni­cken­dor­fe­r*in­nen zu entwickeln. Zudem hat das Bezirksamt inzwischen fünf Bänke als „Quasseltreffs“ aufgestellt, auf denen Menschen miteinander ins Gespräch kommen sollen. Für 2025 sind weitere vorgesehen. Es gibt einen „Stammtisch gegen Einsamkeit“ und im Oktober startete eine Sticker-Aktion, mit der lokale Unternehmen, Institutionen und andere Akteure auf Angebote gegen Einsamkeit aufmerksam machen können und ermutigt werden, selbst Initiativen zu starten. „Unsere Vision reicht über Reinickendorf hinaus“, sagt Demirbüken-Wegner. „Wir möchten, dass das langfristig auf Landesebene verankert wird.“

Die Bundesregierung hatte im Dezember 2023 ihre Einsamkeitsstrategie vorgestellt: 111 Maßnahmen, die das soziale Miteinander stärken sollen. Den Katalog kritisierte die CDU-Politikerin damals als „halbherzig“. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung eine Stelle schafft, die sich ausschließlich mit dem Thema Einsamkeit beschäftigt“, sagte sie der taz.

Doch Einsamkeit wird häufig als individuelles Problem betrachtet, aus dem sich die Politik herauszuhalten hat. Hinzu kommt ein großes Tabu: „Einsamkeit wird von vielen gleichgesetzt mit einem sozialen Versagen maximalen Ausmaßes“, sagt Psychiater Adli. Eine Stigmatisierung, die von Teilen der Politik auch noch befeuert wird. Demirbüken-Wegner forderte daher: „Das Thema muss enttabuisiert werden. Einsamkeit ist keine individuelle Bürde, sondern eine gesellschaftliche Herausforderung.“

Gesamtgesellschaftliche Folgen

Denn die Folgen belasten nicht nur Betroffene. „Einsamkeit ist gesundheitsrelevant. Sie hat negative Auswirkungen auf Stoffwechsel, Immunsystem oder der Herz-Kreislauffunktion und begünstigt sie psychische Erkrankungen, wie Depressionen, Angststörungen und Suchtverhalten“, so Adli.

Zudem stellt sie eine Bedrohung für das demokratische Zusammenleben dar. Die „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung legte nahe, dass Einsamkeit ein bedeutender Faktor für die Anfälligkeit gegenüber populistischen Ideologien sein kann. Demnach gaben 60 Prozent der Befragten, die sich einsam fühlen, an, wenig Vertrauen in das politische System zu haben. Unter denen, die sich nicht einsam fühlen, waren es nur 30 Prozent. Eine Umfrage des Berliner Think-Tanks Progressives Zentrum ergab zudem, dass sich der Zusammenhang zwischen Einsamkeitsbelastung und dem Glauben an politische Verschwörungen besonders stark bei 16- bis 23-Jährigen zeigt.

Um künftig jährlich auf die Herausforderungen der Einsamkeit aufmerksam zu machen, rief Demirbüken-Wegner am Montag offiziell den 16. Dezember zum „Tag gegen Einsamkeit“ in Reinickendorf aus. Der Tag fällt in die emotional aufgeladene Weihnachtszeit, die Betroffene vor zusätzliche Herausforderungen darstellt.

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