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Einigung im DB-TarifstreitDer Triumph der Lokführer

Nach monatelangem Tarifstreit haben sich Lokführer und Bahn AG verständigt - Auf eine Lohnerhöhung von 11 Prozent. Was folgt daraus?

Freie Fahrt: Die GDL einigte sich im Tarif-Streit der Lokführer mit Bahnchef Mehdorn auf 11 Prozent mehr Gehalt Bild: ap

Was bedeutet die Einigung für die Kunden der Bahn?

Zum einen eine gute Nachricht: Ab sofort kann man wieder mit dem Zug fahren, ohne sich vorher in der Zeitung über den aktuellen Stand der Tarifverhandlungen und bevorstehende Streiks zu informieren - und ohne lange Gespräche mit der "Streik-Hotline" der Bahn.

Andererseits werden es vermutlich die Passagiere sein, die die Lohnerhöhung am Ende bezahlen. An der Mitarbeiterzahl kann die Bahn aufgrund eines Beschäftigungspakts nichts ändern, auf teure Großprojekte wie "Stuttgart 21" will sie keinesfalls verzichten - ebenso wenig wie auf eine positive Bilanz. Bleiben neben möglichen Rationalisierungen die Fahrpreise: Die hatte die Bahn schon nach den ersten Tarifabschlüssen mit Transnet und GDBA zum 9. Dezember erneut um 2,9 Prozent erhöht, nachdem die Tickets bereits im Januar teurer geworden waren. Über künftige Preiserhöhungen wollte sich Bahnsprecher Uwe Herz auf Anfrage nicht äußern.

DIE ECKPUNKTE

Die Lokführer erhalten eine Einmalzahlung von 800 Euro, ihre Wochenarbeitszeit sinkt von 41 auf 40 Stunden. Außerdem haben sich Bahn und Gewerkschaft auf eine Lohnerhöhung von 11 Prozent geeinigt. Die Löhne steigen ab März 2008 um 8 Prozent, ab September nochmals um 3 Prozent. Die Gewerkschaften Transnet und GDBA haben im Juli einen Tarifvertrag abgeschlossen. Er beinhaltet Nachverhandlungen, falls andere Einigungen höher ausfallen. Beide kündigten an, dies sei unnötig. "Die GDL hat keinen besseren Abschluss als wir erreicht", sagte GDBA-Chef Klaus-Dieter Hommel.

Was kostet die Einigung die Bahn?

Darüber schweigt das Unternehmen bisher: Noch seien nicht alle Details geklärt, sagte Bahnsprecher Herz. "Darum wissen wir noch nicht, was uns das konkret kosten wird." Schätzungen gehen von Mehrkosten im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich aus - zusätzlich zu den 250 Millionen Euro, die der Abschluss mit den Gewerkschaften Transnet und Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamten und Anwärter (GDBA) kostet.

Zugeknöpft gibt sich die Bahn auch bei der Frage, wie hoch die Verluste durch den Streik selbst waren. "Diese Zahl braucht die Öffentlichkeit nicht zu interessieren", sagte Gunnar Meyer, Sprecher für den Bereich Personenverkehr, auf Anfrage. Bei der Güterverkehrstochter Raillion heißt es zwar, durch den Streik seien Kunden und Aufträge verloren gegangen, doch Zahlen gibt es auch dort nicht.

Bedroht die Einigung mit den Lokführern die Privatisierung der Bahn?

Darauf hoffen jedenfalls die Privatisierungsgegner. Mit den gesteigerten Personalkosten werde es der Bahn künftig schwerer fallen, ihre Bilanz schönzurechnen, sagte Stefan Diefenbach-Trommer vom Bündnis "Bahn für alle". Mehdorns Niederlage könnte darum auf potenzielle Käufer abschreckend wirken. "Unternehmen mit kämpferischen Gewerkschaften, die streiken - und sich durchsetzen -, sind für Investoren weniger attraktiv." Zudem gibt sich die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) tendenziell privatisierungskritischer als die anderen Gewerkschaften. Weil sie einen Teilverkauf des Schienennetzes strikt ablehnt, sprach sie sich stets gegen die bisherigen Pläne der Regierung aus. Dem derzeit diskutierten Holdingmodell, bei dem nur einzelne Bahnsparten privatisiert würden, steht sie hingegen offen gegenüber. Zwar ist die GDL anders als Transnet und GDBA nicht im Bahn-Aufsichtsrat vertreten. Dennoch dürfte ihre Position nach dem Erfolg künftig mehr Gewicht haben.

Kann sich jetzt Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee endlich mal wieder freuen?

Er tut es jedenfalls: Breit grinsend und vor Stolz fast platzend präsentierte der allgemein als erfolglos geltende SPD-Minister am Sonntag seinen Terminkalender, in dem Bahnchef Mehdorn und Lokführer-Chef Schell die Einigung mit ihren Unterschriften bestätigt hatten - für Tiefensee ein Dokument, "das das Zeug hat, im Haus der Deutschen Geschichte seinen Platz zu finden".

Dass der Minister nun so stolz ist, "alles Erdenkliche" getan zu haben, "um die Blockade zu lösen", zeigt allerdings einen erstaunlichen Meinungswandel. Während des Tarifstreits hatte er sich über Monate hinweg geweigert, im Streit zwischen Bahn und GDL zu vermitteln. "Politik ist nie gut beraten, sich in die Verhandlungen einzumischen", hatte er noch Ende November verkündet.

Wackelt Mehdorn?

Nein. Eine tarifpolitische Niederlage reicht nicht aus, um den kampferprobten Bahnchef zu erschüttern. Vielleicht hat Hartmut Mehdorn gelernt, dass seine brachiale Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Methode nicht immer die glücklichste ist. Obwohl - Mehdorn und Lernen? Nee, eher nicht.

Und Manfred Schell?

Ist der strahlende Sieger eines Arbeitskampfes, der als historisch in die Annalen der GDL eingehen wird. Der ehemalige Lokführer ist 64 Jahre alt, er wird im Mai pensioniert. Schell hat alles richtig gemacht: Er hat bis zur Rente das Maximale in seinem Job rausgeholt, sich dadurch ein Denkmal gesetzt und zwischendurch sogar noch eine dreiwöchige Kur am Bodensee eingeschoben. Insofern hat Schell einen starken Abgang hingelegt. Sein Nachfolger Claus Weselsky, bisher Vize, wird daran knapsen.

Wie kommt der GDL-Erfolg bei den anderen Gewerkschaften an?

Geht so. Die Großgewerkschaften sind sauer, wenn schlagkräftige Minivertretungen im Alleingang hohe Abschlüsse aushandeln - weil sie aus der Tarifeinheit ausbrechen. "Deswegen bedauern wir den tarifpolitischen Kurs der GDL", kommentiert DGB-Chef Michael Sommer die Einigung. Dahinter steckt auch die Furcht vor eigenem Machtverlust. Während Ver.di seit Jahren die Mitglieder weglaufen, gewinnen kleine Berufsverbände an Bedeutung, die lieber auf eigene Faust verhandeln.

Stehen die Lokführer also für einen Trend?

Nein, sagt Heiner Dribbusch, Gewerkschaftsexperte vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Schließlich gebe es bisher lediglich drei prominente Beispiele für solche Alleingänge: Vor den Lokführern sind 2006 die Ärzte mit dem Marburger Bund und 2001 die Piloten mit der Vereinigung Cockpit aus einem Tarifverbund ausgebrochen. "Dennoch wäre es besser, das hohe Druckpotenzial der Lokführer für Abschlüsse einzusetzen, die allen Berufsgruppen in der Bahn nutzen", sagt Dribbusch.

Profitiert die GDL als Organisation von dem Ergebnis?

Natürlich. Die entscheidende Währung für Gewerkschaften sind Mitglieder. Und die GDL verbucht Zuwächse durch die öffentlichkeitswirksamen Auseinandersetzungen - und ihre direkten Konkurrenten, die Bahngewerkschaften Transnet und GDBA, Verluste. Von Transnet seien 400 zur GDL übergelaufen, sagt ein Sprecher. Die GDBA spricht von 300 Wechslern. Zwar kann von einer massenhaften Verschiebung keine Rede sein, schließlich hat die GDL 34.000 Mitglieder - dennoch ist der Arbeitskampf ein organisationspolitischer Erfolg. Und ein Marketingcoup obendrein. Wer kannte vor dem Tarifstreit schon die Gewerkschaft der Lokführer?

Und was sagen Transnet und GDBA zu der Einigung?

Sie sind angefressen. "In der Bahnbelegschaft gab es durch den Tarifstreit große Spannungen", sagt GDBA-Chef Klaus-Dieter Hommel. "Die GDL hat der Solidarität unter Eisenbahnern geschadet." Aus beiden Gewerkschaften kommen jedoch auch versöhnliche Töne: Für künftige Verhandlungen bietet Hommel eine "Zusammenarbeit in kooperativer Weise" an. Transnet-Sprecher Oliver Kaufhold ergänzt: "Die Stimmung hat gelitten. Aber wir hoffen, wieder in normales Fahrwasser zu kommen."

Werden Streiks künftig häufiger vor Gericht ausgefochten?

Möglicherweise. Die Bahn, die bei unzähligen Gerichten und mit verschiedenen Begründungen versuchte, der GDL Streiks verbieten zu lassen, hatte jedenfalls immer wieder Erfolg. Damit gewann die Bahn zumindest Zeit und konnte die Streik-Dramaturgie der GDL durcheinanderbringen. Am Ende hat allerdings das Landesarbeitsgericht Chemnitz im November den GDL-Streik unbeschränkt, also auch im Güter- und Fernverkehr, zugelassen. Die Richter sahen keine unverhältnismäßigen volkswirtschaftlichen Schäden.

Könnte die Bahn mit ihrer Verfassungsbeschwerde das Streikrecht doch noch aushebeln?

Nein, das ist nicht zu befürchten. Die Bahn hat zwar in Karlsruhe gegen das Chemnitzer LAG-Urteil eine Verfassungsklage eingereicht. Dies diente aber nur der Fristwahrung. In Wirklichkeit hat die Bahn Angst vor einer Entscheidung des Verfassungsgerichts. Denn dieses würde voraussichtlich das Streikrecht stärken und auch kleineren Gewerkschaften das Recht auf einen eigenen Tarifvertrag zubilligen. Vermutlich wird die Bahn ihre Verfassungsbeschwerde bald wieder zurückziehen.

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