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Serie Bauern und EG (3)Einheitsfrucht im Vormarsch

■ Die Saatgutbranche wird zunehmend von Öl– und Chemiemultis bestimmt / Zukunftsfrucht: Hauptsache lager– und transportfähig

Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln, sagt der Volksmund. Die Bauern selbst geben auf diesen Spruch nicht viel. Im Fall Kartoffeln verlassen sie sich lieber auf die Qualität geprüfter Pflanzkartoffeln. Im professionellen Pflanzenanbau, in Gärtnereien und auf Bauernhöfen, kommt meist „zertifiziertes“ Saatgut unter die Erde, Gemüse–, Hackfrucht– und Getreidesorten, die hohe Erträge und gleichbleibende Fruchtqualität garantieren. Dafür bezahlen die Bauern gutes Geld: Rund 50 Mark kostet der Zentner Saatkartoffeln, aus dem der Bauern etwa 20 Zentner neuer Kartoffeln zieht. Die verkauft er an den Großhandel dann wiederum für acht bis neun Mark pro Zentner. Knapp ein Drittel seines Gewinns geht also allein für die Pflanzkartoffeln drauf. Dieser hohe Einsatz lohnt sich fast nur noch auf Äckern, die gute Erträge erbringen. Wegen der vergleichsweise hohen Saatgutpreise gelten die Pflanzenzüchter bei den krisengeplagten Landwirten als recht privilegiert, zumal sie per Gesetz vor unlauterer Konkurrenz geschützt sind: Das Bundessortenamt mit Sitz in Hannover erteilt für Pflanzenzüchtungen eine Art Patentschutz. Nur der sogenannte Sortenschutzinhaber oder von ihm beauftragte Unternehmen dürfen registrierte Pflan zensorten in den Handel bringen. Etwa 90 mittelständische Unternehmen teilen sich in der Bundesrepublik den Saatgutmarkt. Die meisten sind vor rund 100 Jahren aus Familienbetrieben entstanden. Findige Bauern begannen damals, mit den von Gregor Mendel entdeckten Vererbungsregeln zu experimentieren und spezialisierten sich bald auf die Zucht und Veredelung neuer Pflanzensorten. Seit einigen Jahren bekommen nun die alteingesessenen Züchter eine gefährliche Konkurrenz: Erdölmultis und Chemiekonzerne klinken sich zunehmend ins Saatgutgeschäft ein. Sie wittern nicht nur neue Absatzchanchen, sondern auch gute Einsatzmöglichkeiten für aufwendige gentechnologische Verfahren. In Amerika und in den europäischen Nachbarländern beherrschen die Giganten bereits den Markt. Nickerson, eine Tochter des Shell–Konzerns, tummelt sich auf französischen Versuchsgütern. Bayer, Schering, BASF, Sandoz und Ciba Geigy sind ebenfalls im Geschäft. Kleine Saatgutunternehmen sind in England und Frankreich derzeit billig zu haben. Viele mittelständische Zuchtunternehmen geben auf, nur wenige können ihre Unabhängigkeit erhalten und sich neben den Großkonzernen auf dem Markt behaupten. Auch in Deutschland tasten sich die Großen langsam an die Züchterszene heran: Die Hoechst AG und Daimler Benz kauften sich im letzten Jahr beim größten deutschen Zuchtunternehmen, der Kleinwanzlebener Saatzucht, ein. Bayer und Schering unterstützen Forschungslabors, in denen mit gentechnologischen Methoden an neuen Pflanzen gebastelt wird. Die deutschen Züchter verfolgen die Expansionsbestrebungen der Großen mit einem flauen Gefühl. Was die Konzerne an gentechnologi schem Rüstzeug auffahren, können sie sich einfach nicht leisten. Zehn Jahre, meint ein Züchter, brauche er für die Entwicklung einer neuen Pflanzensorte. Mit Hilfe der Gentechnologie lassen sich Zuchterfolge aber sehr viel schneller verwirklichen. Wo bisher der Gärtner den Samen in die Erde steckte und den natürlichen Zyklus des Wachsens und Reifens abwartete, wird heute im Reagenzglas geklont. Pflanzen werden in Zellen zerlegt, aus denen dann Pflanzen mit genau identischem Genmaterial gezogen werden. Diese Technik erlaubt es, Neuzüchtungen in Windeseile zu vermehren und zu verbreiten und beschleunigt so den Zuchtvorgang enorm. Die Züchter befürchten, daß die Großen sie nicht nur im Wettlauf mit der Zeit schlagen, sondern obendrein die Preise drücken und das Geschäft verderben. Für viele kleine und mittlere Unternehmen aber wäre ein Preiskampf das Ende. Als Indiz dafür, daß die Giganten bereits auf dem Sprung sind, werten Agronomen auch die Diskussionen um eine Änderung der Sortenschutzgesetze. Bislang erlauben es die gesetzlichen Bestimmungen allen Züchtern, neue Pflanzenzüchtungen der anderen Unternehmen zur Veredelung der eigenen Sorte zu benutzen. Nun spricht man davon, die europäischen Richtlinien und damit das deutsche Gesetz amerikanischen Standards anzugleichen und den Sortenschutz zu verschärfen. Es soll nur noch der Erfinder das Recht zur weiteren züchterischen Nutzung seiner Sorten erhalten. Eine solche Gesetzesänderung, meinen die kleinen Züchter, sei ganz im Interesse der Konzerne. Denn sie könnten dann allein von dem profitieren, was Wissenschaftler in ihren hauseigenen Labors zusammenbastelten. Der Zugriff der Konzerne auf das Saatgutgeschäft bedroht in Deutschland eine noch intakte mittelständische Unternehmensstruktur, die letztendlich auch zur Erhaltung einer vielseitigen und dezentralen Landwirtschaft beiträgt. Die Bauern können hierzulande ihr Saat– und Pflanzgut aus einem breiten Angebot wählen. Knapp vierzig verschiedene Sorten sind allein an Weizen auf dem Markt. Darunter finden auch die Landwirte mit schlechtem Ackerland ein Saatgut, das an regionale Boden– und Klimaverhältnisse relativ gut angepaßt ist. Diese Sortenvielfalt werden die Multis nicht erhalten wollen. Ihnen geht es ganz im Gegenteil darum, Pflanzen zu züchten, die sich möglichst weltweit absetzen lassen. Daß sie eigene Interessen verfolgen und nicht die der Landwirtschaft, zeigt auch ihre Absicht, Sorten zu entwickeln, die unempfindlich sind. Unempfindlich nicht etwa gegen Schädlinge, sondern gegen Schädlingsbekämpfungsmittel. Durch diese Neuzüchtungen versprechen sich die Konzerne einen doppelten Profit: Sie wollen mit dem Saatgut zusammen ihre Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel absetzen - alles im gut aufeinander abgestimmten Pflanz– und Nährpaket. Welche Auswirkungen die Saatgutstrategie der Multis auf die Landwirtschaft hat, läßt sich derzeit am Beispiel Italiens verfolgen, wo die Hybridtomate auf dem Siegeszug ist. Mit den alten Tomatensorten verschwinden mehr und mehr auch die Kleinbauern. Einige wenige werden vielleicht mit den traditionellen Anbaumethoden überleben: Als Produzenten von teuren Gewürztomaten für postmoderne Freßboutiquen. Doch die meisten kommen mit der zunehmenden Technisierung der Landwirtschaft nicht zurecht. Die Hochertragstomaten brauchen eine intensive Pflege und teuren Dünger und stellen hohe Ansprüche an die Bodenqualität. Der Anbau der Hybridtomaten lohnt sich eben nur im großen Stil. Diese Einheitsfrucht wird auf dem Markt immer gefragter, gilt sie doch als ideales Industriegemüse. Sie verträgt die härtesten Chemikalienduschen, ist transport– und lagerfreundlich und hat eine ausgedehnte Reifeperiode, durch die sich die saisonale Produktion der Nahrungsmittelindustrie verlängern läßt. Der Geschmack der Tomate ist Nebensache. Hauptsache, sie läßt sich reibungslos verarbeiten - zu Tomaten–Ketchup.

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