piwik no script img

„Einheit für das Eichsfeld“

Zehntausende bei grenzüberschreitender Menschenkette / Rufe nach Wiedervereinigung überwiegen  ■  Aus Duderstadt Reimar Paul

Um halb drei ging am Grenzübergang Gerblingerode/Worbis in Niedersachsen nichts mehr. Autos stauten sich in beide Richtungen. Grenzschützer Ost und West hasteten geschäftig von einem Abfertigungshäuschen zum nächsten. Und am Straßenrand zogen DemonstrantInnen auf, mit Kerzen in der Hand und rotgefrorenen Nasen, um die im Bereich der früheren Sperranlagen noch klaffende Lücke in der Menschenkette zu schließen.

Mehrere zehntausend Menschen hatten am Sonntag nachmittag die warmen Stuben verlassen, um bei der grenzüberschreitenden Aktion mitzumachen. Über fast 70 Kilometer führte die Strecke, an der sich BürgerInnen aus beiden Teilen des Eichsfeldes, einer katholischen und traditionell konservativen Grenzregion, zum Protest gegen den ihrer Meinung nach ins Stocken geratenen Reformprozeß in der DDR formierten. Der Aufruf eines Aktionsbündnisses aus der DDR - Eichsfelder Bürgerinitiativen, Kirchengemeinden und christliche Friedensgruppen sowie die oppositionelle Bewegung „Demokratische Erneuerung“ - hatte jedoch vor allem im eigenen Land Anklag gefunden. Während die DemonstrantInnen auf DDR-Gebiet dicht an dicht standen, wurde die Menschenkette westlich der Grenze zusehends dichter, um sich im drei Kilometer entfernten Duderstadt in einigen Grüppchen Schaulustiger schließlich ganz aufzulösen. Informationsstände der Veranstalter suchte man sowohl an den Grenzübergängen Gerblingerode und Hohengandern als auch in den DDR-Kreisstädten Worbis und Heiligenstadt vergeblich.

Alle DemonstrationsteilnehmerInnen verliehen ihren Forderungen und Motiven selber Ausdruck. Wiedervereinigungsparolen überwogen: „Die Grenze muß jetzt ganz weg“, verlangte ein Ehepaar aus Worbis. Duderstadt wollte mit seiner Anwesenheit das „natürliche Zusammengehörigkeitsgefühl aller Deutschen stärken“. Und eine schwarz-rot-goldene Fahnen schwenkende Gruppe von DDR -Jugendlichen skandierte auf dem Parkplatz vor dem Intershop: „Einheit für das Eichsfeld“.

„Einen guten Schritt voran“ ist am Sonntag auch die polizeiliche Zusammenarbeit beider Staaten gekommen. „Wir haben mit den Kollegen aus der DDR ständig in persönlichem und Funkkontakt gestanden“, berichtete ein mit dem Tag sichtlich zufriedener Bundesgrenzschutzbeamter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen