: Eingreifen, aber wie?
Frankreich erwägt EU-Militärintervention in Darfur und bringt damit Deutschland in Zugzwang
VON DOMINIC JOHNSON
Mit der Forderung nach einer Intervention in Darfur von Frankreichs neuem Außenminister Kouchner haben die G-8-Außenminister in Potsdam ein nicht geplantes Thema auf die Agenda gesetzt bekommen. „Das Thema wird mit Sicherheit angesprochen werden, weil Kouchner es ansprechen wird“, urteilt eine diplomatische Quelle in Berlin über den am Montag lancierten Vorstoß Bernard Kouchners, einen „humanitären Korridor“ aus Tschad nach Darfur durch eine „UN-mandatierte Truppe mit europäischer Komponente“ absichern zu lassen. „Bislang sind aber neben der prinzipiellen Idee noch keine Details bekannt. Insofern sind alle Fragen nach einer deutschen Beteiligung verfrüht.“
Eine „europäische Truppe“, die aus Tschad heraus humanitäre Hilfe für Sudans Kriegsopfer absichert, würde mit Sicherheit die Forderung nach einem Bundeswehreinsatz nach sich ziehen – im Rahmen einer EU-Eingreiftruppe, wie es sie bereits 2006 in der Demokratischen Republik Kongo unter dem Namen „Eufor“ gab. Deutschland, die Führungsnation des Kongo-Einsatzes, ist sich dessen bewusst. „Vermutlich wird Eufor zur Folge haben, dass die Anforderungen an das militärische Engagement der EU in Afrika künftig steigen werden“, heißt es in einer internen Analyse der Bundesregierung zum Kongo-Einsatz. „Damit wird auch die Erwartung an die Bundesregierung steigen, sich zu beteiligen. Frankreich strebt eine stärkere Lastenteilung in Afrika an.“
Offiziell gibt es in der Bundesregierung nicht den geringsten Enthusiasmus für eine Truppe in Darfur oder Tschad. Man hält Kouchners Vorschlag in der EU nicht für mehrheitsfähig. Hat nicht sogar die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen gewarnt, beim Einrücken fremder Eingreiftruppen in das Kriegsgebiet müssten die Helfer abziehen?
So einfach ist es allerdings nicht. Immer größere Teile Darfurs sind wegen anhaltender Gewalt jetzt schon für Helfer nicht mehr zugänglich. Dass wenige hundert Kilometer westlich von Darfur im Tschad 1.000 französische Elitesoldaten mit modernen Hubschraubern und Kampfjets sitzen, die der UNO bei der Aufnahme von Darfur-Flüchtlingen helfen, aber nichts gegen die Fluchtursachen tun, regt Kritiker der französischen Afrikapolitik seit Jahren auf. Die UNO und die AU planen zwar eine knapp 20.000 Mann starke gemeinsame Friedenstruppe in Darfur, aber Sudan will das nicht.
Ob Kouchners Idee etwas bringt, ist unter Interventionsbefürwortern umstritten. Eine Menschenrechtsaktivistin kritisiert, es gehe bloß um den Schutz von Nothilfe, nicht um die Beendigung des Mordens. „Als ob das Ziel wäre, dass wenigstens die Leichen gut gefüttert sind“, schimpft sie.
Man könnte seinen Vorstoß aber auch als Türöffner Richtung Interventionsdebatte nutzen. Kouchners engster sudanesischer Verbündeter ist Abdelwahid al-Nur, der in Paris wohnhafte Führer des radikalen Flügels der größten Darfur-Rebellenbewegung SLA (Sudanesische Befreiungsbewegung). Im Januar verlangte dieser öffentlich einen Einmarsch von EU und Nato in Darfur. Im Februar forderte das Europaparlament die EU auf, „sichere humanitäre Korridore zu schaffen, damit Hilfswerke alle Flüchtlinge und Vertriebenen erreichen können“. Im April lancierten prominente Pariser Intellektuelle eine „Euro-Petition für Darfur“ und sammeln jetzt eine Million Unterschriften für folgende Forderung: „Die europäischen Staaten müssen sofort eine Eingreiftruppe schicken, mit dem Mandat, die Menschen wirksam vor Massakern zu schützen, gesicherte humanitäre Korridore zur Gewährleistung des Zugangs von Hilfswerken zu allen Hilfsbedürftigen einzurichten und wegen Kriegsverbrechen Angeklagte vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen.“
In Deutschland verhallt dieser Ruf bisher weitgehend ungehört. Beim letzten interfraktionellen Antrag im Bundestag zum Thema, Ende April, forderten die Parlamentarier zwar die Bundesregierung dazu auf, der UNO die „Bereitschaft zur Unterstützung“ der geplanten großen Darfur-Truppe von UNO und AU zu signalisieren. Doch ein Versuch der Grünen, daraus „deutliche Bereitschaft“ zu machen, „die auch über Art und Umfang der heutigen Unterstützung hinausgehen kann“, scheiterte.