Einfache Deutungsmuster

■ Der Krieg in Jugoslawien ist auch ein Medienkrieg

Mit der Nato-Bombardierung von jugoslawischen Sendeanlagen hat der Medienkrieg eine neue Dimension bekommen. „Ein wesentlicher Bestandteil des Krieges ist es, die Deutung des Konflikts unter Kontrolle zu haben“, sagt Dusan Reljic vom Europäischen Medieninstitut in Düsseldorf. „Public opinion wins war“, wußte schon General Eisenhower. Medien würden so zur „virtuellen Kampffront“ und die Bildschirme zu „killing sereens“, sagt Reljic. Für den Fronteinsatz der jeweiligen nationalen Schreib- und Bildkompanien gibt es in der Geschichte viele Beispiele: „Sorgen Sie für die Bilder, ich sorge für den Krieg“, telegraphierte 1898 der amerikanische Zeitungsverleger William Randolph Hearst an seinen Mitarbeiter auf Kuba, der vom Aufstand der Rebellen berichtete, schreibt Mira Beham, Autorin des Buches „Kriegstrommeln. Medien, Krieg und Politik“. Um die Massen zum Kämpfen zu bewegen, müsse immer wieder „an ein archaisches Gefühl gerührt werden – den Haß“, so Beham. Die Herabsetzung des Feindes, seine Dämonisierung und Dehumanisierung ist in jedem Krieg erste Propagandapflicht. „Die Serben sind alle Verbrecher / Ihr Land ist ein dreckiges Loch / Die Russen sind nicht viel besser / Und Keile kriegen sie doch“, stand etwa 1914 auf den Eisenbahnwagen, die deutsche Soldaten an die Front transportierten; Hitlers Propagandaabteilung beschrieb „den Serben“ im Zweiten Weltkrieg als den „geborenen Verschwörer und Geheimbündler“, der mit „gereifter Strenge am kurzen Zügel“ gelenkt werden müsse.

Schon immer war Kriegsberichterstattung auch ein großes Geschäft. „Kriege mögen ausbrechen oder enden und Politiker aufsteigen oder stürzen“, sagt der fronterfahrene Kriegsreporter Peter Arnett, „im Nachrichtengeschäft kommt es nur darauf an, die Meldung als erster zu bringen.“

Über 30 Prozent Marktanteil fährt derzeit etwa die Tagesschau ein. „Der gehört mir“, hätten sich Journalisten beim Eintreffen der ersten Kosovo-Flüchtlinge in Deutschland gestritten, berichtete angewidert ein Korrespondent der Frankfurter Rundschau.

Doch nicht nur bei der Opferberichterstattung tragen die Medien ihren Teil zur Misere bei. Die Mehrzahl der Journalisten werde in Kriegen zu „Tätern“, die sich am Konflikt beteiligten, indem sie im Dienst des jeweiligen Machtzentrums zur Gewalt anstiften und diese legitimieren, kritisiert Reljic.

Allen voran versuche das Fernsehen im jetzigen Krieg, mit einer hoch emotionalisierten Berichterstattung die Komplexität des Themas auf ein einfaches Deutungsmuster zu reduzieren. So berichte das serbische Fernsehen kaum über albanische Opfer und die westlichen Medien kaum über serbische. Mit der penetranten Wiederholung von Begriffen wie „Konzentrationslager“ und „Deportationen“ würden zudem historische Assoziationen wachgerufen, um die Unterstützung der Bevölkerung für die Kriegspolitik zu sichern. Dabei werde das Leid der Flüchtlinge keinesfalls relativiert, wenn man diese für den Kosovo-Krieg falschen Vokabeln vermeide. „Das schlimmste Wort ist Völkermord“, so Reljic, „damit muß man sehr sparsam umgehen.“

Im Jugoslawien-Krieg rütteln Horrorgeschichten über „die Serben“ die Öffentlichkeit auf. Nach von der Nato in Umlauf gebrachten Falschmeldungen über die angeblich von Serben liquidierten albanischen Intellektuellen (siehe nebenstehende Spalte) tauchten diese lebendig wieder auf und im angeblich vollgepferchten Konzentrationslager im Sportstadion von Pritina war nicht einmal der Rasen zertrampelt: Nachrichtenproduktion im Krieg.

Im Westen hält sich das einmal implantierte Interpretationsmuster: Serben = Nazis. Um so mehr müßten die von Mira Beham zusammengetragenen Fakten nachdenklich machen. So hat die PR-Agentur Ruder Finn seit 1992 nach eigenen Angaben „für die Republiken Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo“ gearbeitet – zu ihrem folgenreichen und kostenintensiven Werbefeldzug zur Verankerung eines negativen Serbien-Images gehörten u.a. weltweit ausgestrahlte TV-Spots. Nachdem Ruder Finn 1993 von der „Public Relations Society of America“ für ihre „Krisenkommunikation“ ausgezeichnet worden war, sagte Agenturchef James Harff dem französischen Fernsehsender France 2, man habe erfolgreich einflußreiche jüdische Organisationen in den USA mit einer Schwarzweiß-Deutung des komplizierten Konflikts „überlistet“: „... ein großartiger Bluff. In der öffentlichen Meinung konnten wir auf einen Schlag die Serben mit den Nazis gleichsetzen (...) Sofort stellten sich bemerkenswerte Änderungen des Sprachgebrauchs in den Medien ein, begleitet von der Verwendung solcher Begriffe, die eine starke emotionale Aufladung hatten, wie etwa ethnische Säuberung, Konzentrationslager usw., und all das evozierte einen Vergleich mit Deutschland, Gaskammern und Auschwitz. Die emotionale Aufladung war so mächtig, daß niemand wagte, dem zu widersprechen, um nicht eines Revisionismus bezichtigt zu werden.Wir hatten ins Schwarze getroffen.“

Keine sprach bei der Vertreibung von rund 300.000 Serben aus der Kraijna von „Deportationen“. Schon Ende 1991 wollten 43 Prozent der Österreicher keine Serben mehr in der Nachbarschaft, ermittelte das Gallup Institut, und die österreichische Zeitung Die Presse meldete: „Serben lösen Juden als Feindbild ab.“ Nach dem Verlust des kommunistischen Feindbilds sei damit die schon im Golfkrieg erprobte „Schurkendoktrin“ erfolgreich gewesen, sagte Beham.

Lese man etwa die chinesische, indische oder südafrikanische Presse, so werde dort vielmehr die durch den Nato-Angriff hervorgerufene Krise des Völkerrechts, die Rolle Amerikas als führende Weltmacht, das Übergehen der UNO und die Zerstörung Serbiens problematisiert. „Was wirklich passiert ist, erfährt man hier erst in einigen Jahren“, so Beham, und Reljic kritisiert die „starke Versippung zwischen Politik und Medien“.

Weil sie „den Äther mit Haß“ füllten, seien jugoslawische Sendeanlagen ein „legitimes militärisches Ziel“, sagte der britische Luftwaffenkommodore David Wilby vergangene Woche und forderte die Wiederzulassung verbotener jugoslawischer Rundfunksender. Eine Chance räumte er den gegnerischen Medien jedoch ein: Man könnte auf Bombardierungen verzichten, falls Rundfunk und Fernsehen zum „Meinungspluralismus“ beitrügen und morgens und abends jeweils drei Stunden „westliche Programme“ ausstrahlten. Bei der Nato gebe es Fachleute, versicherte Wilby, die solche Programme sofort liefern könnten. Auch der Medienkrieg spitzt sich weiter zu . Matthias Thieme