KOMMENTARE: Eine verräterische Koinzidenz
■ Wen soll die „schnelle Eingreiftruppe“ in der Türkei vor wem beschützen?
Einen unpassenderen Zeitpunkt hätte das US-Außenministerium kaum wählen können, um bekanntzugeben, daß sich die USA am Aufbau einer „schnellen Eingreiftruppe zum Schutz der nordirakischen Kurden“ beteiligen werden. Die Truppe soll in der türkischen Stadt Incirlik stationiert werden. Derweil sind in Dyarbakir, der heimlichen Hauptstadt von „Türkisch-Kurdistan“, seit gestern die Krankenhäuser voll von Verletzten. Gestern mußten dort türkische KurdInnen einen ihrer Politiker zu Grabe tragen, ermordet von türkischen Killern in Uniform. Auf den Zug der Trauernden schossen minutenlang Spezialeinheiten der türkischen Polizei. Jetzt werden auch einige der Trauernden zu Grabe getragen werden.
Diese sicherlich von niemandem gewollte zeitliche Koinzidenz wirft unweigerlich die Frage auf, wer hier eigentlich wen vor wem beschützen soll. Die türkische Regierung hatte wochenlang gezögert, bevor sie die Stationierung des multinationalen Truppenkontingents auf ihrem Territorium gestattete. Zwischen den beteiligten Regierungen mußte zuvor wohl vor allem eines sichergestellt werden: daß die „schnelle Eingreiftruppe“ auch ganz gewiß nur zum Schutz von Kurden vor irakischen Mordkommandos dient — und nicht etwa die blutige Arbeit türkischer „Sicherheitskräfte“ behindern soll.
Manches spricht dafür, daß die Ermordung des kurdischen Politikers Aydin eine Aktion des türkischen Arms der internationalen Geheimdienstorganisation Gladio war. In militärischen Auseinandersetzungen mit der kurdischen Guerilla PKK sollen türkische Einheiten jüngst bereits die Hilfe jener multinationalen Truppe in Anspruch genommen haben, die dort im Rahmen der „Operation Provide Comfort“ zugunsten der irakischen Kurden stationiert worden waren. Im Krieg, den die türkische Regierung gegen die Kurden im eigenen Land führt, wird das westliche Truppenkontingent zum Schutz der irakischen Kurden jedenfalls weggucken. Auch dies wäre mindestens Kumpanei zu nennen. Eine Kumpanei, die ihren Grund hat: Denn daran, den kurdischen Widerstand zu brechen, ist nicht nur die türkische Regierung interessiert.
Das Vorgehen gegen die Kurden in der Türkei gehört ebenso zum Erhalt des territorialen Status Quo im Mittleren Osten wie jene Politik, die den kurdischen Aufstand im Nordirak vor einigen Wochen bewußt im Stich ließ. Zumindest in dieser Hinsicht war man sich von Washington bis Bagdad einig.
Die USA, Großbritannien und Frankreich wollten sich möglichst unauffällig aus dem politischen und militärischen Wirrwarr im Nordirak herausziehen. Die Position der kurdischen Unterhändler in Bagdad wird durch den Truppenabzug aus dem Nordirak eindeutig geschwächt — und darauf hat auch Saddam Hussein mit seiner Verzögerungstaktik in den Verhandlungen gesetzt. Der vielfach kritisierte Abzug der multinationalen Truppen aus dem Nordirak, wo sie die irakischen Kurden wirklich schützen konnten, sollte durch die Stationierung der „Schutztruppe“ in Incirlik kompensiert werden. Doch die türkische Wirklichkeit kam dem beabsichtigten Effekt in die Quere: Die internationale „Schutztruppe“ wird wohl ein — zur Untätigkeit verurteilter — Zeuge des Krieges gegen die türkischen Kurden sein. Nina Corsten
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