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Eine untergehende Welt

■ Wie Eberhard Bechtle darauf kam, zwei Elefanten in einem Bauchnabel Platz finden zu lassen

Wenn man neu ist an der Universität, erscheinen einem die KommilitonInnen zunächst noch fern und undeutlich und beginnen sich erst im Laufe des ersten Semesters voneinander zu unterscheiden. Bei Institutspartys dann kommt man wohl ins Gespräch mit diesem oder jenem. Adorno, Benjamin oder Heidegger hatte man zwar trotz angestrengtestem Bemühen noch immer nicht verstanden, daß es allerdings Denkmoden gibt, die als Pendant des Yuppietums Anfang der achtziger Jahre en vogue zu werden begannen, sah man schon und schloß sich denen an, die wie Eberhard Bechtle unbedingt lieber Bier gegen Derrida tranken und Achternbusch hochleben ließen.

Der Schwarzwälder Dichter, der einmal vorschlug, eine Liste mit den zehn unbekanntesten Menschen der Welt aufzustellen, trug in seiner Berliner Studienzeit stets die gerade geschriebenen Manuskriptseiten in einer Plastiktüte mit sich herum, aus Angst, in seiner mit einem Kohleofen beheizten Wohnung könne Feuer ausbrechen. Er verschwand kurz in Paris und lebte danach in München, wo er an Leukämie erkrankte. Nach einer chemotherapeutischen Odyssee durch verschiedene Kliniken starb Eberhard Bechtle er am 30. August 1986 in Berlin.

Fünf Jahre nach seinem Tod erschien unter dem Titel die Umgebung der Welt, eine kleine Sammlung seiner Mikrogeschichten in der Basiliskenpresse. Die Buchdeckelradierung des mit 26 Jahren verstorbenen Autors — verschachtelte Häuserstriche, die im Schein einer schwarzen Sonne zusammenbrechen, von einem Fluß, der durch die Straßen geht, hoffnungslos davongespült werden — ist so filigran und seltsam schön wie die 27 kleinen Texte. Eberhard Bechtles Helden sind Randfiguren, Riesen und Zwerge in einer Welt, in der die Relationen sich verschieben, die sich langsam entfernt, wie zum Abschied. Umgekehrt wächst sie oder wird immer kleiner, und das Kind wird zum Riesen oder klein wie eine Ameise aus Angst vor der Strafe der Eltern. Es sind Mischwesen, die wie bei Kafka in ihrem leichtfüßigen Scheitern als einzige noch ein bißchen Hoffnung aufscheinen lassen.

Da gibt es den Menschen, der, auf dem Kopf stehend, »mit blutunterlaufenen Augen und in der Luft zappelnden Beinen drei Schnitzel nebst einer beträchtlichen Flasche Weines« vertilgt — »daß man mit solch zweifelhaften Kunststücken in der Welt berühmt werden kann, liegt auf der Hand« —; da gibt es als Jahrmarktssensation den dicken Mann: »Hermann Unger trank eine Flasche Bier, und man schrie Bravo. Hermann Unger fraß ein Stück von einer Landkarte, und man applaudierte. Am Ende der Schau schluckte er die ganze Welt und stocherte mit einer glühenden Eisenstange zwischen den Zähnen. Aber da war auch niemand mehr, ihm zu applaudieren.« Es gibt ein Kind, das »träumte von der Stadt. Auf den Straßen lagen zerquetschte Katzen. In dunklen Ecken saß man und trank. Dreimal am Tag mußte man sich die Nase putzen. Um die Ohren wackelten mechanische Geräusche. Man sprang übereinander her, steckte sich die Zunge in den Rachen oder ein Messer in die Brust.«

Manche der hingehuschten Traumgestalten sind groß — »zwei Elefanten hätten in dem Bauchnabel Platz gefunden«; manche verschwinden ins Kleine; einige sind einsam und üben auf der Mundharmonika, »aber wie schlecht. Wie schlecht. Man ahnt, was mit so einem los ist, und fragt sich leise, wann bringt er sich endlich um.« Nur selten verwandelt sich die Umgebung in trügerische Freundlichkeit. Manchmal ist die Welt auch schon längst untergegangen, und Sätze von einer fast bedrückend traurigen Schönheit nehmen von ihr Abschied: »Sie versenkte sich in das Außen und schwieg. Oft sagte sie: Ich bin eine Riesin. Dann streifte ihr Blick einen Stern, und es wurde Nacht. Beinahe hätte sie sich wie eine Königin gefühlt. Allein ihrem Gefühl fehlte das Unten. Der Himmel war zu haltlos zur Residenz. Papa klapperte zwischen seinen Büchern. Die Mutter schimmerte mild in ihrer Gondel. Sie lehnte sich noch weiter hinaus. Sie schwieg. Wirklich.« Detlef Kuhlbrodt

Der Schaubühnenschauspieler Udo Samel wird heute abend ab 20 Uhr im Literaturhaus, Fasanenstraße 8, aus den Mikrogeschichten Eberhard Bechtles lesen. Eintritt ist frei.

Die Umgebung der Welt — Mikrogeschichten ist 1991 in der Basiliskenpresse, Marburg an der Lahn, erschienen.

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