■ Eine politische Intervention des Auslandes könnte zu einer friedlichen Konfliktlösung in Zentralafrika beitragen: Die zweite Kongo-Krise
Jetzt ist er da, der große Konflikt, der ganz Zentralafrika in den Abgrund reißen könnte. Ruandas Armee ist in Zaire einmarschiert, um die Streitkräfte des Diktators Mobutu und die mit ihm verbündeten ruandischen Hutu-Milizen von der Grenze zu verjagen. Die Welt sieht altbekannte Bilder von gebeugten Menschen im Regen. Das Elend im Osten Zaires, wo sich Hunderttausende ruandischer Hutu auf die Flucht aus ihren Flüchtlingslagern gemacht haben, erscheint wie eine Wiederholung des Dramas von 1994, als Ruandas Hutu nach dem Völkermord in Richtung Zaire aufbrachen. Die Täter verließen ihr Schlachtfeld, stellten ihre Familien auf die Straße und baten um Hilfe – und im zairischen Goma setzte eine gigantische Hilfsaktion ein, während Ruanda in der Grabesstille seiner halben Million Toten ruhte.
Nun erlebt die Welt eine Neuauflage. Vor einem halben Jahr, als ruandische Hutu hinter Goma zairische Dörfer brandschatzten und sich ein Hutu-Land zusammenraubten, rührte sich kein Finger. Auch vor sechs Wochen, als Zaires Armee die zairischen Tutsi, genannt Banyamulenge, in Apartheid-Manier aus dem Land treiben wollte, blieb das Ausland stumm. Dann schlugen Zaires Tutsi die Regierungstruppen in die Flucht. Ruanda ergriff die Chance, sich die Hutu jenseits der Grenze vom Leib zu schaffen, und half den Banyamulenge. Jetzt gedeiht dort ein regulärer Krieg.
Da tote Afrikaner niemanden scheren, fliehende Afrikaner jedoch Mitleid erregen, überbieten sich die Drahtzieher in diesem Krieg mit dem einzigen, was sie neben Kämpfen noch können: Sie produzieren Flüchtlinge. Sie stellen erneut ihr Volk auf die Straße und halten die Hand auf. Eine gigantische Manipulation. Es waren nicht die gefürchteten Tutsi, sondern die Hutu-Milizenführer und marodierende zairische Soldaten, die den Hutu-Flüchtlingen in den Lagern um Goma die Lebensmittel wegnahmen und die Hilfsorganisationen vertrieben. Trotzdem kommen Diplomaten und wollen Menschenleben retten, ohne sich den Kriegskalkülen auszusetzen.
Will das Ausland effektiv in die ostzairischen Wirren eingreifen, muß es einfache Dinge begreifen. Erstens: Es handelt sich nicht um eine humanitäre Katastrophe, sondern um Krieg. Genauer: um eine Kette von Kriegen in der Grenzregion von Zaire, Ruanda und Burundi, geführt mit dem Mittel der „ethnischen Säuberung“ und dem Ziel territorialer Alleinherrschaft.
Zweitens: Diese Kriege sind der Tiefpunkt einer politischen Krise. Die dreißigjährige Schreckensherrschaft Mobutus ist bankrott, Ruandas Hutu-Völkermörder sind im Exil und Burundis Tutsi-Diktatoren von Rebellen belagert, aber sie alle vergiften noch immer das Klima in ihren Ländern. „Ethnische Säuberungen“ sind zum Hauptinstrument der Politik avanciert. Der todkranke Mobutu, der sein Krankenbett neben seinen Bankkonten in der Schweiz aufgeschlagen hat, schafft es noch immer, seine Landsleute gegeneinander aufzuhetzen und dann um humanitäre Hilfe zu bitten. Aber nicht derjenige braucht am nötigsten Hilfe, der am lautesten schreit. Jahrelang hat Mobutu es geschafft, als Gastgeber für ruandische Flüchtlinge Hilfe in Milliardenhöhe anzusaugen. Damit muß Schluß sein. Hätten Hilfsorganisationen sich nicht in ihrem Mitleid für die Ruander in Zaire überboten, wäre nie der von internationaler Hilfe lebende Hutu-Staat auf zairischem Boden entstanden, der Verbrechern Schutz bot und die Region destabilisierte. Nun ist das vorbei – hoffentlich für immer. Wer jetzt wieder mit Flugzeugen voller Humanität nach Goma fliegt, bereitet den Nährboden für den nächsten Krieg.
So paradox es scheinen mag: Der ruandische Einmarsch in Goma könnte den Weg zu einer Neuordnung des Krisenherdes Zentralafrika frei gemacht haben. Das geht aber nur, wenn das Ausland sein Interesse am Frieden zeigt. Die Welt darf sich nicht bloß über Lebensmittelhilfe den Kopf zerbrechen, sondern muß klare Prinzipien aufstellen. Zum Beispiel: Menschenrechte sind unteilbar. Ein Staat muß allen Bewohnern seines Territoriums die gleichen Rechte geben. Die Massenausbürgerungen ethnischer Minderheiten in Zaire und auch die Wünsche einiger Ruander und Burunder nach ethnisch „reinen“ Staaten sind zu verurteilen und zu bekämpfen wie einst die Apartheid in Südafrika. Auch gewaltsame Grenzveränderungen sind unannehmbar. Hinter dem ruandischen Einmarsch in Zaire verbirgt sich nämlich auch ein alter Traum gewisser Ruander, Tutsi wie Hutu, das Staatsgebiet Ruandas zu vergrößern. Das begründet die Furcht vor einem regionalen Krieg.
Ein anderes Prinzip: Alle Gewalt geht vom Volke aus. Da Mobutu und sein Regime in den letzten Zügen liegen, sollte den Zairern genauso wie vor wenigen Jahren den Südafrikanern geholfen werden, einen geordneten Rahmen für die Zukunft zu entwickeln, bevor Mobutus Tod das Tor zu gesamtzairischen Wirren öffnet.
Eine vom Ausland gestützte politische Initiative müßte sich Zaire, Ruanda und Burundi widmen. Sollte es gelingen, die Tutsi-Militärs und Hutu-Rebellen in Burundi auf dem Verhandlungsweg zu einer Annäherung zu bewegen, wäre ein großer Schritt zum Frieden getan. Sollte es gelingen, auch nur ein paar Verantwortliche für den Völkermord von 1994 in Ruanda mit internationaler Beteiligung abzuurteilen, wäre dies ein Signal dafür, daß die Welt einen Rückschritt nicht mehr zuläßt.
Drittens sollten internationale Vermittler die politischen Kräfte und regionalen Herrscher in dem riesigen Staatsgebiet Zaires um einen Tisch versammeln, um eine Debatte über die föderale Neugründung eines demokratischen Zaire einzuläuten.
Vor 36 Jahre war Zaire, das damals noch Kongo hieß und gerade von Belgien in eine unvorbereitete Unabhängigkeit entlassen worden war, Brennpunkt der Weltpolitik. Die sogenannte „Kongo-Krise“ von 1960, als angesichts von Armeerevolten und Sezessionsbestrebungen eine UNO-Militärtruppe die Macht im Lande übernahm, war eine Sternstunde der Vereinten Nationen. Die Weltgemeinschaft hatte begriffen, daß Chaos und Staatszerfall im Herzen Afrikas nicht hingenommen werden dürfen. Heute würde eine Militärintervention den Konflikt anheizen, denn sie hätte je nach Herkunft der Interventionstruppe den Ruch der Parteinahme. Ebensowenig darf man einen Kriegsschauplatz, der einst die Spitzenpolitiker der Welt beschäftigte, heute überforderten humanitären Helfern überlassen. Dominic Johnson
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