: Eine ofenheiße Nacht
Unterwegs am Freitagabend: Eine Hamburgfahrt mit Holunder und Hindernissen
Ein Hund, ein Meerschwein, ein Adler und ein Heuschreck beschlossen einmal, gemeinsam etwas recht Witziges und Abgefahrenes zu unternehmen; und so saßen sie denn mitsammen und ratschlagten, wie sie’s wohl könnten bewerkstelligen.
„Was haltet ihr von einem zünftigen Kegelabend in ‚Kalles Waldschänke‘?“, eröffnete der Hund, ein etwas spießiger Rauhaardackel, die Diskussion. „Welch ein verwegener Vorschlag!“, versetzte das Meerschwein spöttisch. „Zum Kegeln gehen wir doch eh jeden ersten Samstag im Monat! Ich für mein Teil plädiere dafür, zur Kirmes nach Buxtehude zu fahren; da haben sie seit neuestem eine Achterbahn mit dreifachem Looping. Das sorgt für den nötigen Speed.“
„Ei, ihr Einfaltspinsel!“, ließ sich da der Adler vernehmen, „das ist doch alles infantiler Stumpfsinn. Völlig untrendy. Effektiv uncool. Aber im ‚Cage‘ in Hamburg – ’ne Super-Location mit sagenhafter Atmo –, da legt heute Big ‚Bird‘ Nozzle auf, einer der angesagtesten DJs all over Europe, das ist ’n schwuler Pelikan, den haben sie extra aus London eingeflogen. Da können wir monstermäßig einen abhotten und anschließend ’n paar Eins-A-Bräute aufreißen – hundert pro.“
„Ich frage mich“, sprach der Heuschreck versonnen, „ob sich wohl ein Reim auf ‚Holunder‘ finden ließe.“ Er war, wie so oft, nicht ganz bei der Sache. Außerdem schrieb er Gedichte.
„Dann ist ja alles klar“, fasste der Adler die Debatte zusammen, „also ab nach Hamburg.“ Er wandte sich dem Hund zu: „Wir fahren mit deinem Golf!“ – „Meinetwegen“, maulte der Dackel, „aber das Benzingeld wird umgelegt!“ Eigentlich war er ein ganz verträglicher Typ, neigte jedoch ein wenig zum Geiz. So waren sie’s denn alle zufrieden, bestiegen des Hundes schon etwas betagtes Vehikel, dessen Sitze mit ausgesucht trashigem Leopardenfell-Imitat bezogen waren, und brausten los.
Leider wurde der Ausflug dann doch nicht so doll, wie der Adler es ihnen verheißen hatte. Als sie gegen Mitternacht endlich vorm „Cage“ standen, weil der Dackel die falsche Autobahnausfahrt erwischt und sich mehrfach verfranst hatte, weigerte sich der Türsteher, ein dickwanstiger und ziemlich arrogant dreinblickender Dachs, sie einzulassen – ob wegen Überfüllung oder wegen ihres ländlichen Outfits, war nicht eindeutig zu klären.
So landeten sie denn nach einigem Hin und Her schließlich doch wieder bei McDonald’s. Missmutig verleibten sie sich pro Nase zwei Big Mäcs und eine große Cola ein; das Meerschwein orderte anschließend noch eine Apfeltasche. Die ward aber so ofenheiß gereicht, dass die drei anderen Nachtschwärmer, die eigentlich längst aufbrechen wollten, noch eine geschlagene Viertelstunde vor ihren leeren Pappbechern und Hamburger-Schachteln auszuharren genötigt waren, bis der kleine Nager endlich sein abgekühltes Gebäck zu sich nehmen konnte. Seine Naschhaftigkeit trug ihm denn auch bissige Schmähreden ein, als „Süßkartoffel“ und „Marzipanschweinchen“ ward er tituliert; so ließen die drei müden Spießgesellen das unschuldige Tierchen ihren Verdruss ob des misslungenen Abends entgelten.
Während der Heimfahrt waren dann alle ziemlich einsilbig. „Ich hab’s“, rief da auf einmal der Heuschreck unvermittelt aus. Die anderen sahen ihn verblüfft an. „Auf ‚Holunder‘ reimen sich ‚Wunder‘ und ‚Pullunder‘“, führte der Heuschreck aus. „Und mir sind noch mehr Reimwörter eingefallen“, fuhr er fort, „nämlich ‚Flunder‘, ‚Zunder‘, ‚ein runder‘, ‚jetzunder‘ und ‚Bommerlunder‘.“
Der Hund, das Meerschwein und der Adler schwiegen. Der Heuschreck aber lächelte selig vor sich hin. CHRISTIAN MAINTZ