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■ Eine neue Morgenröte ist angebrochen für "New Labour". Die britischen Wähler haben der zur Mitte gewendeten Partei und ihrem Vorsitzenden nach 18 Jahren Machtabstinenz einen Rekordsieg geschenkt. John Major bleibt Abgeordneter.Ein strahl

Eine neue Morgenröte ist angebrochen für „New Labour“. Die britischen Wähler haben der zur Mitte gewendeten Partei und ihrem Vorsitzenden nach 18 Jahren Machtabstinenz einen Rekordsieg geschenkt. John Major bleibt Abgeordneter.

Ein strahlender Sieger beschwört seine Demut

Im Augenblick des Triumphes gibt sich Labour kühl und ruhig. Selbst als in den verschiedenen Wahlkreisen eine haushohe Mehrheit nach der anderen ausgezählt wird und ein frischgewählter Abgeordneter nach dem anderen eine „neue Ära“ verkündet, will in der Führung stundenlang niemand von Sieg sprechen. Seine erste Rede hält Tony Blair, als er kurz vor ein Uhr seinen nordostenglischen Wahlkreis Sedgefield mit stolzen 71 Prozent gewinnt. Die Hochrechnungen geben Labour da schon eine absolute Mehrheit von 193 Sitzen. Aber der Sieger wirkt, als trüge er um seine Gefühle ein Korsett. Er bedankt sich bei den Wahlhelfern, bei der Polizei, dann wieder bei den Wahlhelfern, dann bei seiner Familie, dann bei der Familie seiner Frau. Dann wird aus der holperigen Rede eine holperige Predigt. „Es ist eine Ehre, euch zu dienen, und ich fühle ein tiefes Gefühl der Ehre, der Verantwortung und der Demut.“

Spricht so ein Wahlsieger? Um 1.40 Uhr sind die ausgezählten Mandate so verteilt: Labour 154, Liberale und Konservative je 8. In der Londoner Royal Festival Hall, wo die Siegesfeier stattfindet, recken sich die ersten geballten Fäuste. Zu seinem zweiten Auftritt kommt Tony Blair gegen 2.15 Uhr in den Labour-Ortsverein von Sedgefield. Diesmal grinst er wenigstens, wie man es von ihm kennt, und seine Stimme verrät ein wenig Freude. „Hier in diesem Wahlkreis haben wir New Labour erschaffen“, schwindelt er.

Es ist immer noch keine Siegesrede, sondern eine Wahlkampfrede. Was ist los mit dem neuen Premierminister? Alle geben inzwischen zu, daß er gewonnen hat – nur nicht der Sieger selbst. Zu dieser Zeit ruft sogar John Major schon seinen Nachfolger an, um ihm zu gratulieren.

Um 3.13 Uhr passiert Labour mit 330 Parlamentssitzen die Marke der absoluten Mehrheit. Damit es jeder weiß, erscheint die Eilmeldung auf der großen Neontafel am Piccadilly Circus mitten in London. Aber nicht Labour schlägt jetzt über die Stränge, sondern die verlierende Konservative Partei. Im mühevollen Versuch, Opposition zu lernen, fordert Tory-Rechtsaußen John Redwood in seiner Wahlkreis-Siegesrede bessere Schulen und Krankenhäuser. Als John Major seinen Wahlkreis Huntingdon in Ostengland wiedergewinnt – mit einer halbierten Mehrheit –, freut er sich auf die „nicht zu entfernte Zeit, wenn diese Partei wieder an die Regierung kommt“. Labour fällt die neue Rolle nicht leicht. Die Siegesfeier in der Royal Festival Hall, Londons größter Konzerthalle, ähnelt eher einer Studentenfete. Bier und Champagner fließen zu Rockmusik. Chefideologe Peter Mandelson verspricht entgegen allem Augenschein, die Partei sei „sehr ernsthaft und sehr verantwortungsbewußt“. Die Partei trinkt und tanzt und wartet auf ihren Führer. Der kommt nicht.

Als Herr und Frau Blair schließlich in der Halle am Themseufer landen, wirkt der neue Premier endlich präsidial. Er strafft seine Unterlippe wie Bill Clinton. Als er auf das Podium steigt, wirkt es, als traue er sich zum erstenmal, tief durchzuatmen. Hinter ihm leuchtet auf der Leinwand zwischen den beiden Transparenten „New Labour“ und „New Britain“ der Spruch „New Government“ auf. Es ist geschafft. „Well“, sagt Blair, und das Parteivolk jubelt.

Endlich kommt sie, die Siegesrede. Es ist 5.15 Uhr. Über der Themse leuchtet die Morgenröte. Was sagt Blair? „Eine neue Morgenröte ist angebrochen. Nicht wahr?“ Wie wahr. „Und es ist wunderbar. Wir haben immer gesagt: Wenn wir den Mut zum Wandel haben, schaffen wir es. Und wir haben es geschafft.“

Blair spricht, als feiere er mit sich selbst Kommunion. „Es war eine lange Reise“, meint er. „Das britische Volk hat uns sein Vertrauen geschenkt. Es ist eine bewegende und zur Demut einladende Erfahrung. Und das Ausmaß unserer Mehrheit zwingt uns eine besondere Verantwortung auf. Wir wurden als New Labour gewählt, und wir werden als New Labour regieren. Wir wurden gewählt, weil wir als Partei die ganze Nation vertreten, und wir werden für die ganze Nation regieren...“

Die längste Nacht der jüngeren britischen Geschichte ist vorbei. Vom Labour-Fest am Themseufer bleibt eine Stunde später nichts übrig außer viel Müll. „Was für eine Morgenröte!“ ruft ein Feiernder, bevor er es sich zwischen seinen drei leeren Sektflaschen gemütlich macht. In der Tory-Parteizentrale stattet Nochpremier Major seinen Mitarbeitern den Dank in unnachahmlicher Selbstironie ab: „So. O.K. Wir haben verloren.“ Dominic Johnson, London

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