piwik no script img

Eine neue Mauer für Frauen

■ Schwangere aus der BRD sollen bestraft werden, wenn sie in der DDR abtreiben / Pro Familia: Der Willkür wird damit Tür und Tor geöffnet / Geplante Regelung für Berliner Verhältnisse völlig absurd

Von Helga Lukoschat

Berlin (taz) -Die jetzt ausgehandelten Übergangsregelung für die unterschiedlichen Abtreibungsgesetze in Ost und West öffnet der Willkür Tür und Tor: Die Vereinbarung zwischen Bonn und Ost-Berlin sieht vor, Frauen aus der BRD zu bestrafen, wenn sie in der DDR abtreiben.

Wenn eine Frau aus Hof, Oberfranken, eine Abtreibung machen lassen will, dann fährt sie am besten gleich nach West -Berlin. In ein paar Monaten könnte es für die oberfränkischen Frauen eine Erleichterung geben. Da im zweiten Staatsvertrag eine Übergangszeit für die DDR -Fristenregelung festgeschrieben werden soll, könnten Frauen aus Hof zum Beispiel in das 30 Kilometer nahe Plauen fahren. Der zeitraubende Hürdenlauf, den der Paragraph 218 vorschreibt, bliebe ihnen erspart. In der DDR ist die Abtreibung in der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft ohne Auflagen erlaubt.

Die Vereinbarungen zwischen Bonn und Ost-Berlin versuchen jetzt, den „Abtreibungstourismus“ zu stoppen. Nicht das „Recht des Tatorts“ soll gelten, sondern das „Recht des Wohnorts“. Damit würde das Gebiet der Noch-DDR behandelt wie heute zum Beispiel die Niederlande. Rechtlich gilt auch hier: Frauen müssen den Beratungsnachweis nach Paragraph 218b bringen, sonst machen sie sich strafbar. Aber diese rechtliche Hürde gegen den „Abtreibungstourismus“ blieb bisher praktisch ohne Folgen. Nur in ganz wenigen Ausnahmefällen wurden Frauen verurteilt.

Was sich die Rechtsexperten aus Ost und West nun für das neue Deutschland ausgedacht haben, ist schlicht nicht praktikabel. Denn wenn mit der Bestrafung der Frauen Ernst gemacht werden soll, ist der Willkür und unerträglicher Schnüffelei Tür und Tor geöffnet, befürchtet der stellvertretende Vorsitzende der Pro Familia, Erich Bodenbender. Ärzte und Krankenschwestern aus der DDR würden zu Erfüllungsgehilfen der Justiz degradiert. Sollen sie sich jedesmal den Paß zeigen lassen und die Frauen gegebenfalls nach Hause schicken? Das werden die ÄrztInnen der DDR wohl kaum mitmachen. Warum sollten sie auch? Mehrheitlich steht die Ärzteschaft hinter der Fristenregelung. Werden „bundes„ -deutsche Ermittler regelmäßig die Patientinnenkarteien von DDR-Kliniken kontrollieren? Das würde eine Ausforschung intimer Daten bedeuten, die die Vorgänge um die Memminger Prozesse noch in den Schatten stellen würde. „Diese Regelung ist nicht akzeptabel“, sagt auch die Strafrechterlin und 218 -Expertin Monika Frommel. Die Übergangsregelung müsse in jedem Fall die Straffreiheit der Frauen garantieren. Möglich sei zum Beispiel eine Übereinkunft der Justizminister der Länder, daß Ermittlungen, die aus der unterschiedlichen Regelung in Ost- und Westdeutschland resultieren, grundsätzlich aus Opportunitätsgründen eingestellt werden.

„Das kann nicht sein, daß auf der einen Seite der (Berliner) Wollankstraße die Frauen für etwas straffrei bleiben, was auf der anderen Seite bestraft wird.“ Berlins Justizsenatorin Jutta Limbach macht deutlich, wie absurd die Drohung der Strafverfolgung für die längst nicht mehr geteilte Stadt ist. „Tatort“ und „Wohnort“ lassen sich hier jetzt schon nicht mehr fein säuberlich auseinanderhalten. Limbach will sich deshalb auch dafür einsetzen, daß bei den Verhandlungen für den zweiten Staatsvertrag zumindest für Berlin die Fristenregelung und die Straffreiheit der Frauen festgelegt wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen