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Archiv-Artikel

Eine liebende Frau

Iris Hanika erzählt geschliffen scharf davon, wie ausgerechnet das Glück eine Liebende ins Straucheln bringt: „Treffen sich zwei“

VON WIEBKE POROMBKA

Einen „Liebesroman für Erwachsene“ nennt der Klappentext dieses Buch. Das soll vermutlich heißen, für all jene, die sich keine Illusionen mehr machen. Dabei fängt doch alles so schön an. Die Luft flirrt im heißen Berliner August. Sie und er, Senta und Thomas, beide jenseits der vierzig, begegnen sich in einer Kreuzberger Bar und – bamm! Da ist es auch schon mit einer derartigen Wucht um sie geschehen, dass jeder dieser zwei vom Donner Gerührten meint: So viel Liebe auf den ersten Blick gab es selten.

Wie ein Märchen aus fernen Zeiten, in sonderbar erhabenem Ton erzählt Iris Hanika das Anbändeln, das auf diesen ersten Blick folgt und das schon kurze Zeit später in weichen Kissen seinen standesgemäßen Abschluss findet. Dass Hanika ihr Pathos immer wieder durch ironische Kommentare unterbricht, macht die Komik dieser Szene wie ihres Romans insgesamt aus. Aber auch seine Tragik. Denn woran sich nun normalerweise der Rausch des frischen Verliebtseins anschließen sollte, entspinnt sich in „Treffen sich zwei“ die, um es vorsichtig zu sagen, problematische Psyche von Hanikas weiblicher Protagonistin.

Hier geht es nicht um einen Mangel an Illusionen, den eine alleinstehende Frau um die vierzig durchaus haben kann. Hier geht es um eine handfeste Depression, die dazu führt, dass es Senta zwar unbändig nach einer erfüllten Liebe verlangt, dass aber jede noch so kleine Ahnung davon prompt in Hysterie umschlägt. Die wiederum führt abwechselnd zu tagelangen Heulanfällen oder aber Aggressionsschüben gegen die Umwelt – was in diesem Fall vor allem auch den neuen Liebhaber meint.

„Wie in ihren Gedanken immer der Mann ausgesehen hatte, den sie einmal lieben würde“, so steht ihr Thomas gegenüber. Das ist für jemanden wie Senta aber natürlich gerade das Schlimmste an der ganzen Sache. Schlimm ist nicht nur, dass der einst Erträumte und nun Auserwählte viel zu lange Gliedmaßen und einen Bauchansatz hat, billige Hemden trägt und noch dazu Computerfachmann ist. Schlimm ist vor allem, dass sie selbst es ist, die ihn sich so und nicht anders erträumt hat. „Also war es jetzt so weit. Die Liebe sollte beginnen.“ Genauso gut könnte sie auch sagen: die Strafe.

Einfacher wäre, wenn Thomas sie nach der ersten gemeinsamen Nacht nicht mehr anrufen würde. Dann wäre das selbst prophezeite Unglück wieder mal komplett, und Senta könnte sich gemütlich darin einrichten. Stattdessen steht er freudestrahlend vor ihrer Haustür, um sie zum nächsten Date abzuholen. Da im wasserdichten Konstrukt des pathologischen Charakters nur Falsches passieren kann, kommt Senta jetzt erst richtig ins Straucheln. Wenn sie hundertprozentig zu wissen meint, dass so ein Computerspießer, wie ihn das Schicksal ihr aufgedrückt hat, ganz sicher Milchkaffee zum Frühstück haben möchte, daraufhin wütend eine hektische Aufschäumaktion in ihrer Küche beginnt, um schließlich vollständig niedergeschmettert zu sein, als er sie mit dem freundlichen Hinweis unterbricht, dass er sich aus aufgeschäumter Milch nichts mache, dann zeigt sich daran in etwa das Ausmaß ihres emotionalen Desasters.

Wer solcherart Depressionen nicht kennt, wird Sentas Stimmungsumbrüche nur staunend zur Kenntnis nehmen. Oder aber mit zunehmender Verärgerung, wie Thomas, dessen Geduld schließlich ausgereizt ist, als die betrunkene Senta ihm vor aller Augen und in aller Schrillheit erst ihre Orgasmuslosigkeit und im nächsten Atemzug ihre Liebe an den Kopf wirft.

„Treffen sich zwei“ ist kein Liebesroman, weder für Erwachsene noch für eine andere Altersklasse. Es ist ein Buch über Einsamkeit und über den Teufelskreis der Depression, in dem das Glück so weit weg ist wie ein Märchen aus alten Zeiten. So verzweifelt macht dieser Teufelskreis, dass jeder, der nicht drinsteckt, nur mit dem bitterbös gemeinten Etikett vom „bürgerlichen Leben“ abgestempelt werden kann.

Iris Hanika kennt sich offenbar mit den Problemen aus, über die sie erzählt. Das hat sie zuletzt in „Die Wette auf das Unbewusste“ beglaubigt, wo sie für manchen Geschmack allzu auskunftsfreudig über ihre eigene, sechseinhalb Jahre dauernde Psychoanalyse und ihre regelmäßigen Heulattacken plauderte. Damit hat sie allen autobiografischen Spürhunden schon mal vorab den Wind aus den Segeln genommen: Ähnlichkeiten zwischen Autorin und Protagonistin sind eh klar – also kann man sich dem Text selbst zuwenden. Mit ihrem neuen Roman beglaubigt Hanika aber noch etwas anderes: Sie ist eine geschliffen scharfe Erzählerin, die sich irgendwo zwischen Sarkasmus, Komik und großer Verletzlichkeit bewegt. Deshalb mag man seltsamerweise ihre Figuren, obwohl sie wirklich schwer zu ertragen sind.

Es bleibt die Vermutung, dass Hanika mit ihrer Studie des depressiven Charakters auch eine treffende Studie zumindest eines Teils ihrer Generation gezeichnet hat. Aber – das muss an dieser Stelle freimütig eingeräumt werden – das kann nur ahnen, wer zehn Jahre später geboren ist und einen gültigen Trauschein sowie beinahe vorschulreifen Nachwuchs im Hause hat.

Iris Hanika: „Treffen sich zwei“. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2008, 240 Seiten, 19 Euro