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Eine kleine Geschichte des ContainersKein Rappeln in der Kiste

Mehr als 90 Prozent aller Waren werden in Containern transportiert. Mit der Krise geriet auch der Containerverkehr ins Stocken. Eine Geschichte über die wichtigste Box unserer Zeit.

Beim Container gilt: Die Uniformität ist seine Existenzbedingung. Bild: dpa

Alles sieht aus wie immer. Container stapeln sich turmhoch und bunt entlang der Häfen. Auf Schiffen vor den Anlegestellen und weit in die Kaianlagen hinein. Kräne überragen das Ganze. Die gleiche Szenerie in Hamburg, Hongkong oder Barcelona. Man kennt diese Bilder aus den Fernsehnachrichten und den Wirtschaftsteilen der Zeitungen. Die riesigen Behälter stehen für internationalen Warenhandel, illustrieren weltweite Exporttrends, kurz: Sie sind Symbol der Globalisierung. Jeder sechs Meter lang, 2,44 Meter breit, 2,60 Meter hoch, aus Stahl: Sie stehen für die Containerisierung der Welt.

Ja, alles sieht aus wie immer, doch in den Containerhäfen ist derzeit nichts wie immer. Die Fracht liegt teilweise seit Monaten in den Schiffsbäuchen, weil die Kunden kein Geld haben, sie auszulösen, viele der Container sind auch einfach leer. Und zwar immer mehr. Allein in China waren es Anfang des Jahres 160.000 Stück. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Transportraten weltweit um 15 Prozent gesunken, die Preiskurven krachten mit Wucht nach rechts unten. Es sei die bislang größte Krise der Branche, heißt es. Auch jetzt spiegelt sich die Situation der globalen Wirtschaft in den Containern. Sie sind gestrandet, ins Stocken geraten. Sie sind Symbol der Globalisierung - und gleichzeitig ihr Symptom.

Das Phänomen Container

Alexander Klose: "Das Containerprinzip. Wie eine Box unser Denken verändert". Mare Verlag, Hamburg 2009. Die Perspektive des Buches ist streng kulturwissenschaftlich und sehr detailverliebt - die Buchfassung der Doktorarbeit. www.containerwelt.info

Olaf Preuß: "Eine Kiste erobert die Welt. Der Siegeszug einer einfachen Erfindung". Murmann Verlag, Hamburg 2007. Der Redakteur der Financial Times Deutschland nähert sich dem Phänomen über Reportagen - er war in Häfen und auf Frachtern unterwegs.

Die Performance-Künstlerin Jekaterina Anzupowa ist der Entstehtung eines Bechers Erdbeerjoghurt hinterhergereist. http://erdbeerjoghurt150g.wordpress.com

"Container Story" ist ein Dokumentarfilm über ebendas: die Geschichte des Containers.

www.containerstory.com

Damit hätte wahrlich niemand gerechnet, als die Box erfunden wurde. Logistik hieß noch schlicht Transport, als der US-amerikanische Spediteur Malcolm McLean 1956 auf die clevere Idee kam, seine Fracht in jenen Boxen vom Land übers Wasser aufs Land zu transportieren, statt alles jedes Mal entladen und wieder aufladen zu müssen. Er war 43, es war die Zeit, als Herren noch Hüte trugen, im deutschen Fernsehen lief damals noch nicht einmal Werbung. Wann genau der Container selbst erfunden wurde, ist umstritten.

So gründete die Internationale Handelskammer bereits 1933 das "Bureau International des Containers" in Paris, das bis heute die Interessen der Branche vertritt. Der Aufmachertext der ersten Ausgabe der Verbandszeitschrift klärte erst einmal auf: "Was ist ein Behälter" lautete die Schlagzeile, darunter ein Foto von einer Art Bauwagen am Haken, hoch über einem Hafenbecken schwebend. Auch wenn sich in den USA und Europa parallel ähnliche Transportprinzipien entwickelten: Es war McLean, der erkannte, dass sich uniforme Behältnisse standardisiert befördern lassen würden und man so eine Menge Zeit und somit auch Geld sparen könnte. 58 Kisten packte er an einem diesigen Apriltag auf die "Ideal X", die Fahrt des allerersten Container-Frachtschiffs ging von New York ins texanische Houston. Das war der Beginn der "Just in time"-Lieferung, der Anfang vom Ende großer Lagerhallen. Die Meere, Schienen und Straßen wurden zum ortlosen Warendepot.

Das Ganze hätte genauso gut scheitern können. Denn, klar: Dieses Prinzip funktioniert nur, wenn an allen Verladestationen die gleichen Vorrichtungen paratstehen, um die Stahlboxen vom Lkw aufs Schiff, auf die Schiene und zurück auf den Lkw zu hieven. Mit der "Macht einer Naturerscheinung" habe sich diese Transportweise durchgesetzt, schreibt der Kulturwissenschaftler Alexander Klose in seinem jüngst erschienenen Buch "Das Containerprinzip". War die "Ideal X" gerade einmal knapp 160 Meter lang, messen die größten ihrer Art heute knapp 400 Meter.

Am meisten Cargo fasst derzeit die "MSC Daniela": 14.000 Standardcontainer von 20 Fuß Länge, der üblichen Maßeinheit, auch abgekürzt als TEU für "Twenty-foot equivalent unit". 2008 waren weltweit 525 Millionen TEU unterwegs. Vor zwanzig Jahren war es gerade einmal ein Sechstel. Diese Box, erklärt Klose, hat "unser Denken verändert". Und, ganz unaufdringlich, unseren Alltag. Selbst der Erdbeerjoghurt im Kühlregal ist aus Einzelteilen aus allen Ecken der Welt zusammengerührt. Wir alle sind umgeben von den immer gleichen Containerspuren.

Und in der Tat: Der Container steht wie sonst kaum ein Ding für die zunehmende Homogenisierung der Welt. Bei weltweit vertretenen Marken wie McDonalds, Coca-Cola oder etwa Ikea gibt es hier und da regionale Unterschiede, die Zutaten sind anders, der Geschmack, die Auswahl sind nicht identisch. Doch beim Container gilt: Die Uniformität ist seine Existenzbedingung. Er ist von vorneherein darauf ausgelegt, international absolut kompatibel zu sein. Er passt immer, egal wohin er kommt. Wer ihn transportiert, ihn entgegennimmt, weiterbefördert, hat Kräne, Sattelschlepper, Waggons auf exakt jene Maße abgestimmt, runter, rauf, zack, zack. Die Liberalisierung der Weltwirtschaft war streng genommen nur dank dieses Systems möglich. Geschätzte 90 Prozent aller Waren werden heute so befördert.

Diese Stahlkiste ist ein Modul, eine Einheit. Ein Transportmittel im Wortsinn - ein Medium. Es befördert Inhalt von einem Ort zum anderen. Allerdings ist dieses Medium das direkte Gegenteil von anderen Formen der Kommunikation; in der Containersprache gibt es nur absolutes Verstehen, es fehlen Missverständnisse, falsche Interpretationen, irgendetwas zwischen den Zeilen gibt es nicht. Reibungslos eben. Fast.

Denn auch wenn das Medium, der Inhaltstransporter, problemlos überall andocken kann, in Empfang genommen wird, als das erkannt wird, was es ist, so gibt es doch eine markante Leerstelle: den Inhalt selbst. Völlig zu Recht spricht der Kulturwissenschaftler Klose daher von der "Blackbox des Transports", stellt einen Vergleich her zur sagenhaften Büchse der Pandora, der "großen Behälterfigur abendländischen Denkens". Was drin ist, merkt man erst hinterher.

Dieses Zusammenspiel macht es so leicht, diese Stahlkiste als Bild für etwas so Abstraktes wie die Globalisierung einzusetzen. Auf der einen Seite ist der Container zu einer Ikone geronnen, die überall und sofort von allen wiedererkennbar ist. Auf der anderen Seite aber: Geheimniskrämerei. Von außen ein Kasten, so simpel und schnörkellos wie ein Legostein, und innen, tja, das Innenleben bleibt rätselhaft. Was sich hinter den gestanzten Stahlwänden verbirgt, ist letztlich so unfassbar und unbestimmt wie das Wesen einer globalisierten Weltgesellschaft.

Kein Wunder stürzten sich die Küstenbewohner in Cornwall alle an den Strand, als dort vor fast drei Jahren Container an den Strand gespült worden waren, weil die "MSC Napoli" auf Grund gelaufen war. Es ging weniger ums Plündern, schien es, als darum, den Inhalt endlich zu sehen.

Und jetzt sind sie dank der Krise zu wahren Leerstellen geworden, bloße Hülsen, ohne Ladung. Das war zuvor undenkbar - Container waren voll, ihr Wesen ist immerhin, etwas zu beinhalten. Doch die in den Häfen der Welt gestrandeten Stahlkisten werden fortan zu mehr taugen als zum Sinnbild des florierenden Globalhandels.

Wer Container als Symbol abdruckt, wird nun immer beide Interpretationen mitliefern: den Aufschwung und die Krise. Denn ob etwas drin ist, sieht man schließlich nicht. Dass es weltumspannende Netzwerke gibt, davon zeugt allein ihre Existenz, stählern und berechenbar.

Vielleicht sang Phillip Boa deshalb einst eine Hymne auf "Container Love", die Liebe zu einem Container. Nichts ist verlässlicher als die Kiste selbst. Du bekommst nur, was du siehst, und unkaputtbar sind sie obendrein.

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