: „Eine große Koalition will nur die SPD“
Landtagswahlkampf in Thüringen: Vogel will Koalition mit der FDP fortsetzen / SPD befürwortet die große Koalition / Bündnisgrüne vermeiden Debatte um Schwarz-Grün ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Erfurt/Suhl (taz) – Der Kanzler kommt eine halbe Stunde früher nach Suhl und steuert direkt den nächstgelegenen Imbißstand an. Dort bestellt Helmut Kohl ersteinmal eine Thüringer Bratwurst mit Senf und weiß zehn Minuten später, nach einem angeregten Plausch mit dem Bratwurstbrater, wo die SuhlerInnen der Wendeschuh drückt.
Am 16. Oktober sind die Thüringer aufgerufen, sowohl zur Bundestags- als auch zur Landtagswahl ihre Stimme abzugeben. Eine solche Doppelwahl erfordert schließlich doppelten Einsatz: zum einem vom Kanzler höchstpersönlich, zum anderen selbstverständlich von Ministerpräsident Bernhard Vogel. Auf den Wahlplakaten der CDU wirbt fast ausschließlich Vogel um die Gunst der Thüringer WählerInnen. Der Ex-Ministerpräsident von Rheinalnd-Pfalz, da sind sich seine Pressesprecher sicher, habe in den zwei Jahren seiner Amtszeit für die Union und für Thüringen „ganze Arbeit“ geleistet. Unermüdlich habe Bernhard Vogel alle Regionen des Landes besucht, sich erfolgreich für den Erhalt industrieller Komplexe eingesetzt und sich in Bonn bei der CDU und im Bundesrat als „konsequenter Kämpfer“ für die Interessen der ostdeutschen Bundesländer profiliert. Vogel habe es geschafft, den Menschen in Thüringen ihre verlorengegangene Identität und ihr Selbstbewußtstein zurückzugeben. „Stolz auf Thüringen!“ heißt denn auch die zentrale Wahlkampfaussage der Thüringer Union.
Vogels Wahlziel: 40 Prozent plus x
Doch Thüringen ist nicht Sachsen. Der Mann an der Spitze der schwarz-gelben Landesregierung, der bescheiden einen in Eisenach zusammengeschraubten Opel Vectra fährt und als Junggeselle eine kleine Wohnung in Erfurt angemietet hat, glaubt selbst nicht an eine absolute Mehrheit für Thüringens CDU. 40 Prozent plus x heißt die Parole der Union. Und auch wenn die FDP in diesem Jahr schon bei sechs Landtagswahlen unter der Fünfprozenthürde blieb, strebt Bernhard Vogel weiterhin eine Fortsetzung der „erfolgreichen Koalition“ mit den Liberalen an.
Immerhin stellen die Freien Demokraten in mehr als 100 Städten und Gemeinden in Thüringen den Bürgermeister. Zum Vergleich: Die SPD bringt es nur auf rund 70 „Verwaltungsspitzen“ im Lande. Ob der Trend auch in Thüringen eher für die PDS und gegen die Liberalen ausschlagen wird, weiß auch der FDP-Landesvorsitzende Andreas Kniepert nicht so genau.
Schwer verunsichert sind dagegen die Bündnisgrünen in Thüringen, denen noch vor knapp einem halben Jahr Traumergebnisse von bis zu 15 Prozent prognostiziert wurden. Doch nach den für die Partei desaströsen Ergebnissen der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen geht auch bei den Bündnisgrünen in Thüringen die Angst vor dem Ausscheiden aus dem Landtag um.
Mit 6,5 Prozent war die Bürgerrechtsvereinigung „Neues Forum/ Die Grünen/ Demokratie jetzt“ 1990 in den Erfurter Landtag eingezogen. Von den sieben gewählten Abgeordneten halten heute jedoch nur noch fünf das grün-alternative Firmenschild hoch. Der „Stasi-Jäger“ Georg Büchner und Siegfried Geißler vom Neuen Forum haben sich aus der gemeinsamen Fraktion verabschiedet. Das Neue Forum tritt bei den Landtagswahlen gegen Bündnis 90/ Die Grünen an.
Olaf Möller, noch MdL der Bündnisgrünen, der aktuell auf dem 4. Listenplatz wieder für den Landtag kandidiert, ist daher vorsichtig mit Prognosen: Nur zwei Prozent für das Neue Forum, so seine Rechnung, „und wir können im Landtag vielleicht unsere Sachen packen“. Die Bündnisgrünen, so Möller, kämpfen deshalb „flächendeckend um jede Stimme“.
Noch glauben sie fest daran, daß ihr Fleiß bei der Parlamentsarbeit in den letzten vier Jahren von den ThüringerInnen honoriert wird. Von der kleinen Fraktion im Landtag gingen immerhin 646 parlamentarische Initiativen aus – von CDU und FDP zusammen kamen gerade mal 508 Anträge und Anfragen.
Rot-Grün scheitert an der Farblosigkeit der SPD
Auch der Bundestagswahl-Slogan der Bonner Bündnisgrünen: „Wer Rot-Grün will, muß Grün wählen!“ trifft die Situation Thüringens nicht so recht. Zu schwachbrüstig präsentiert sich die SPD unter ihrem farblosen Spitzenkandidaten Gerd Schuchard. Ein „Armutszeugnis“ nennt es Olaf Möller, daß Schuchard seine Partei schon im Frühsommer auf die „große Koalition“ eingeschworen habe, falls die FDP bei den Wahlen auf der Strecke bleibe und deshalb der Union als Mehrheitsbeschaffer nicht zur Verfügung stehen sollte. „Schuchard“, so Möllers Vorwurf, „hat noch nicht einmal versucht, für ein anderes Politikmodell in Thüringen zu kämpfen.“
Mit einer möglichen schwarz- grünen Koalition im Thüringer Landtag tun sich die Bündnisgrünen gleichfalls schwer. Als Möller vor wenigen Tagen auf einer Landesversammlung der Jungen Union als geladener Gastredner eine solche Konstellation nicht von vorneherein als „abwegig“ bezeichnete, kam es in der Fraktion zu einem Sturm der Entrüstung. Vor den Landtagswahlen findet daher eine Debatte um eine schwarz-grüne Koalition in Thüringen nicht mehr statt.
Bei der CDU sieht man das gelassener: „Die große Koalition will bei uns kein Mensch“, sagt Fraktionssprecher Doetsch. Und falls es die FDP „wider Erwarten“ doch nicht schaffen sollte, habe man die Pflicht, auch andere Konstellationen zu prüfen. Die Bündnisgrünen, so der CDU-Mann, sollten sich deshalb im Wahlkampf „ein bißchen mehr anstrengen“. Auch wenn es die FDP noch einmal schaffen sollte und Bernhard Vogel dann mit seiner „Wunschkoalition“ weiterregieren könne, sei es doch „mehr als nur tragisch“, wenn ausgerechnet die Mitinitiatoren der Wende am 16. Oktober ins grüne Gras beißen sollten.
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