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■ Nach dem Freispruch im Lorena-Bobbitt-ProzeßEine atavistische Diskussion?

Fakt ist: Hätte Lorena Bobbitt ihren Ehemann und Mißhandler umgebracht, dann wäre dieser Prozeß mangels Interesse unter Ausschluß der Öffentlichkeit gelaufen. Angesichts der Tatumstände erscheint es allerdings naiv, sich über den begleitenden Medien- und Kommerzrummel zu wundern. Schließlich wurde hier das ultimative Verbrechen nicht nur gegen John Wayne Bobbitt, sondern gegen die Männlichkeit im allgemeinen zur Anklage gebracht – kombiniert mit all jenen Zutaten, die man zum Anrühren eines Mediendramas so braucht: Sexuelle Gewalt ließ sich wieder einmal durch das Schlagwort Sex and Crime ersetzen; frivoler Kommerzialismus in Form von Penissen aus Schokolade bot eine willkommene Abwechslung zur Prüderie, die zur gleichen Zeit die öffentliche Debatte darüber prägt, ob in Werbespots zur Aids-Vorsorge Kondome gezeigt werden dürfen; die Filmerlaubnis im Gerichtssaal machte das ganze Land zum Prozeßbeobachter – und die Konstellation zwischen Kläger und Angeklagter bot auch noch die Grundlage, um eine Neuauflage des vielzitierten „Geschlechterkriegs“ ins Szene zu setzen.

Da waren auf der einen Seite neokonservative Männergruppen, die im Chor mit altkonservativen Kommentatoren auf der Anklagebank nicht nur Lorena Bobbitt, sondern auch den Feminismus mit seinem angeblichen Schlachtruf „Schwanz ab!“ identifizierten. Da waren auf der anderen Seite einige Frauenorganisationen, die Lorena Bobbitt wahlweise zur Heroine oder Märtyrerin hochstilisieren wollten. Beide Positionen sind ebenso idiotisch wie symptomatisch für die aktuelle Debatte um sexuelle Gewalt in den USA.

Fazit ist: Am Ende verliefen Verhandlung und Urteilsfindung im Gerichtssaal, ansonsten selten progressives Territorium der Gesellschaft, fortschrittlicher als die derzeitige öffentliche Debatte um sexuelle Gewalt in den USA. Der Freispruch für Lorena Bobbitt, wenn auch mit der höchst zweischneidigen Begründung der Unzurechnungsfähigkeit erzielt, spiegelt eine jahrzehntelange Diskussion um sexuelle Gewalt gegen Frauen, um die rechtliche Definition von Notwehr und die rechtliche Interpretation von Unzurechnungsfähigkeit wider. Die macht sich inzwischen auch im Strafrecht und unter Geschworenen bemerkbar.

Für jene Intellektuellen beiderlei Geschlechts, die unter dem Etikett des Postfeminismus die Diskussion um sexuelle Gewalt für erledigt hielten, hat das Urteil gegen Lorena Bobbitt hoffentlich eine Signalwirkung. Nicht etwa, weil durch den Freispruch ihre Tat entschuldigt worden wäre, sondern weil der Prozeß wieder einmal die Alltäglichkeit von Gewalt gegen Frauen demonstriert hat. Andrea Böhm, Washington

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