: Eine alte Sammlung wieder zum Leben erweckt
Gesammelt im späten 19. Jahrhundert: In der Ausstellung „Beseelte Dinge – Die Tlingit Sammlung aus Alaska“ zeigt das Bremer Übersee-Museum Artefakte einer indigenen Kultur
Von Wilfried Hippen
Bergziegenwolle und Gelbzedernbast zusammengesponnen und die Fäden dann zu komplexen Mustern und dem Wappen eines Clans verwoben: Die Chilkat-Decke sieht so neu aus, als wäre sie gerade erst fertiggestellt worden. Doch schon im Jahr 1883 überließen Arthur und Aurel Krause sie dem Überseemuseum in Bremen. Die beiden Brüder hatten sie aus Südost-Alaska mitgebracht, von einer Expeditio, die sie unternahmen, um die damals vermeintlich aussterbende Kultur der Tlingit zu dokumentieren. Vor ein paar Wochen, im Februar, wurde die Decke in Bremen David Light, dem Ältesten des Gaanaxteidi-Clans, um die Schultern gelegt: Das sollte sie spirituell neu erwecken.
In der Zeremonie am Vorabend der Ausstellungseröffnung wurden auch viele andere nun im Überseemuseum ausgestellte Artefakte von angereisten Tlingit-Repräsentanten durch Gesänge und Tänze wieder mit ihren Wurzeln verbunden; für die Angehörigen dieser indigenen Völker tragen diese Objekte die Geister ihren Ahnen in sich.
Ausstellung „Beseelte Dinge – Die Tlingit-Sammlung aus Alaska“: bis 23. 11., Bremen, Überseemuseum, Kabinett Übersee
Diese Versöhnung der damals im Geiste des kolonialen Denkens gesammelten und dann ausgestellten Objekte mit der bis heute lebendigen Kultur, der sie entstammen, ist ein gutes Beispiel dafür, wie fortschrittliche Museumsarbeit aussehen kann. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt haben ein Bremer Team unter der Leitung der Kuratorin Claudia Koch, Vertreter der Tlingit sowie der in Alaska arbeitende Ethnologe Chuck Smythe die Bremer Sammlung untersucht. Daraus wurde die kleine Ausstellung „Beseelte Dinge – die Tinglit-Sammlung aus Alaska“, zu sehen im nur zwei Räume umfassenden „Kabinett Übersee“ des Hauses.
Dabei wurden schamanistische Objekte, etwa eine Maske oder eine Rassel mit zwei Rabenköpfen, denen für die Tlingit immer noch eine große Macht innewohnt, durch eine Trennwand vom Rest der Ausstellung separiert: Die Besucherin soll sie nicht im Vorbeigehen, nebenbei, mit dem Blick streifen. Nein, diese Objekte soll nur wahrnehmen, wer sich ihnen ganz bewusst zuwendet.
Das Sounddesign der Ausstellung besteht aus leisen Trommelrhythmen, eingespielt von Joe Zuboff, Vertreter des Deisheetaan-Clans, bei seinem Besuch in Bremen. Er fand in der Sammlung einen aus Meteoreisen gefertigten Dolch, der den Deishataan gehörte; zur spirituellen kam da also noch eine familiäre Verbindung.
Zu der Sammlung gehören neben einem aufwendig ausgeführten Lederpanzer, besetzt mit den Knöpfen einer westlichen Marineuniform, aber auch chinesischen Lochmünzen, ein hölzerner Schöpflöffel sowie ein Tanzkopfschmuck mit der Schnitzerei eines Vogelkopfes. Wie diese Objekte einst in den Besitz der europäischen „Sammler“ kamen, zu denen auch der Pelzhändler Bernhard Bendel gehörte, und wie diese sie wiederum interpretierten, das dokumentieren nun Briefe und einige Seiten aus zeitgenössischen Tagebüchern. Was die Tlingit selbst heute zu der Sammlung zu sagen haben, vermitteln Hör- und Bildstationen.
Die Nachbildung eines neu gebauten Clanhauses macht auch deutlich, dass die damals, im späten 19. Jahrhundert, totgesagte Kultur der Tlingit heute noch lebendig ist und gepflegt wird. So sind in mehr als einem Sinne die Dinge in dieser Sammlung, einer der ältesten des Museums überhaupt, immer noch lebendig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen