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■ Eine Skulptur ohne Unterhose erhitzt die GemüterKampf der Wollust gegen die Moral

Mexiko-Stadt (taz) – Auf dem Nachhauseweg begegnet sie mir gelegentlich, jene stolze schöne Dame mit dem entrückten Blick, die ungerührt im sprudelnden Wasser steht und ihren Bogen spannt. „Ein Symbol für die moderne dynamische Frau von heute“, schwärmte mir neulich ein Taxifahrer vor, „eine echte Kriegerin eben“. Ebenso ungerührt trägt diese auch ihren üppigen Leib zur Schau: Splitternackt ist die bronzene Bogenschützin, ein Augenschmaus für Passanten wie Autofahrer – und ein Dorn im Auge der „Bürgerliga“, die seit Jahr und Tag über den „mexikanischen Anstand“ wacht.

Lange schon bemühen sich die braven Bürger, das schamlose Weib vom Paseo de la Reforma, einem der meistbefahrenen Boulevards der Innenstadt, zu bannen. Skandalträchtig war die himmlische Jägerin, von ihrem Schöpfer nach Jupiters Tochter Diana getauft, schon immer: Nur wenige Monate nach ihrer Geburt war ihr aus Gründen des Anstands ein Bronzeschlüpfer angeschweißt worden, den sie erst ein Vierteljahrhundert später, im Geiste der nach Mexiko übergeschwappten sexuellen Revolution, wieder ablegen durfte. Dennoch mußte Diana zunächst noch viele Jahre an einer entlegenen Kreuzung ausharren, bis die heute 54jährige im Jahre 1992, nach jahrelangem Tauziehen mit der Liga, auf den Paseo zurückkehren durfte.

Die Rückkehr wurde zum Volksfest, frenetisch hupende Autos drehten Ehrenrunden und Zeitungen jeglicher Couleur feierten den „Sieg der Wollust über die Moral“. Jetzt droht die Moral zuguterletzt doch noch zu triumphieren. Die nackte Jägerin, befand ein Stadthistoriker, sei zwar ein hübsches, historisch aber „eher bedeutungsloses“ Denkmal, das als Blickfang für libidinöse Fahrer zudem geradezu „gefährlich“ plaziert sei. An die Stelle von Jupiters Tochter sollen nun diverse „Monumente der Mexikanität“ treten. Darunter auch ein Entwurf des Monumentalgeometrikers Sebastian, der sich bei den Hauptstadtbewohnern schon durch sein „Pferdchen“, einem knatschgelben quadratischen Ungetüm auf einer leider sehr zentralen Kreuzung, unbeliebt gemacht hatte: Auf nicht weniger als 676 Quadratmetern würde der Sockel der neuen Mexikanitätsbronze befestigt, deren Seiten dann mit so inspirierten Slogans wie „Freiheit“, „Föderalismus“ oder auch „soziale Rechte“ – eben die „Fundamente unserer Republik“, wie der Autor beflissen erläutert – und dem Antlitz des ersten Indio-Präsidenten, Benito Juárez, geschmückt wären.

Eine andere Variante sieht vor, prähispanische Treppen zu einer spanischen Kathedrale – die ihrerseits durch einen 30 Meter hohen Stahlbogen dezent angedeutet würde – aufsteigen zu lassen. Auf der Plattform tummelt sich dann der mexikanische Beitrag zur Weltkultur: Druckermeister und Dramaturgen, Ärzte, Philosophen und PoetInnen, wie die hochverehrte Klosterpoetin Sor Juana de la Cruz. Doch das Projekt stößt bislang auf eher verhaltene Sympathien. „Extravagant“ gehört noch zu den freundlichsten Adjektiven, mit denen das Ansinnen gemeinhin bedacht wird. Bei Meinungsumfragen gibt es diesmal ausnahmsweise keine Wankelmütigen, über 90 Prozent sind – bei aller Liebe zu Juarez und Sor Juana – „total dagegen“, daß ihre Diana dafür in die Wälder geschickt wird. In intellektuellen Kreisen reicht das Spektrum der Kommentare von Lachkrämpfen bis zu „absoluter Blödsinn“. Und der Stadtchronist Carlos Monsiváis findet das realmexikanistische Projekt gar so „schauderhaft“, daß man „in Erwägung ziehen müsse, um Asyl im benachbarten Honduras zu ersuchen“. Anne Huffschmid

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