■ Eine New Yorker Videofilmerin kämpft um ihr Projekt:: Ein Homosexueller beim Militär
New York (taz) –Als die 32jährige Videofilmerin Chiqui Cartagena aus New York sich vor vier Jahren daran machte, einen Dokumentarfilm über Homosexuelle im Militär zu drehen, hoffte sie, mit der Zeit auch ausreichende finanzielle Unterstützung zu finden. Im Sommer wurde ihr Film „Sis: The Perry Watkins Story“ – einen Bericht über einen US-Offizier, der nach 15 Jahren Dienst aufgrund seiner Homosexualität aus der US- Armee entlassen wird – endlich fertig und wurde an den britischen TV-Sender Channel 4 verkauft. Vier Jahre lang hatte sie ohne finanzielle Unterstützung zurechtkommen müssen. Beinahe wäre das Projekt schon im Sommer 1993 geplatzt, aufgrund fehlenden Zuspruchs der Filmindustrie, obwohl es bereits fast fertig war.
Als Cartagena den Film begann, war sie gerade nach langjähriger Journalistenarbeit von Miami nach New York gezogen. Sie hoffte, sie könnte die Arbeit, die sie bisher für andere gemacht hatte, für sich und ihr politisches Engagement – sie ist Mitglied der „Gay and Lesbian Alliance Against Defamation“ und ist im Vorstand des New Yorker „Gay and Lesbian Film Festivals“ – einsetzen. Mit ihr kam eine Kollegin aus Miami, Suzanne Newman, nach New York. Beide taten sich zusammen und gründeten die NewsCart Productions Company, mit der der Dokumentarfilm produziert werden sollte. Doch: „Es ist schwierig in New York zu überleben. Und so mußten wir immer vorarbeiten, sparten etwas Geld, arbeiteten an unserem Projekt, hörten wieder auf und so weiter.“
Der Film befaßt sich mit der Story von Perry Watkins, der 1967 zum Vietnam-Krieg eingezogen wurde. „Perry gestand sein Schwulsein freiheraus, und die Armee akzeptierte es problemlos, da in diesem unpopulären Krieg jeder gebraucht wurde“, erklärt Cartagena. „Aber 1982 sah man seine Homosexualität plötzlich als Gefahr und entließ ihn aus dem Militär. Er ging vor Gericht und gewann – als erster und einziger Schwuler im Militär überhaupt – seinen Prozeß im November 1990.“
Zu diesem Zeitpunkt entscheiden sich Chiqui Cartagena und ihre Partnerin, Perry zum Hauptthema des Filmes zu machen. Sie berichtet: „Anfangs wollten wir uns auch mehr auf Frauen im Militär konzentrieren. Aber nachdem wir ein paar Monate dabei waren, gewann Perry seinen Prozeß, und wir entschlossen uns, einen Film nur über ihn zu machen, da wir auch einen Film drehen wollten, für den sich jeder interessieren kann und den jeder versteht.“
Doch der Film über Perry Watkins entpuppte sich aus zweierlei Gründen als unpopuläres Unterfangen: „Zum einen waren ,Homosexuelle im Militär‘ kein Thema, bevor Clinton es zu einem machte. Doch wir fanden das Thema wichtig, da das Militär heutzutage die einzige staatliche Organisation in den USA ist, die noch Homosexuelle diskriminiert. Sogar die Einwanderungsbehörde hat ihre Politik geändert.
Zum anderen ist die Gay Community in den USA leider rassistisch, und Perry ist farbig. Außerdem mag sie keine Tunten, da Tunten über lange Zeit die herausragendsten Repräsentanten der Schwulen-Bewegung in den Medien waren und die Community sich heute darum bemüht, zu zeigen, daß diese Gruppe nur einen kleinen Teil der Homosexuellen ausmacht. Aber Perry war auch eine Tunte. Diese beiden Faktoren stellten für uns ein immenses Problem während der ganzen Zeit dar, in der wir den Film drehten.“
Hierzulande mag sich mancher fragen, warum man für das Recht, in der Armee zu sein, gerade als Schwuler auch noch kämpfen sollte. Doch muß man bedenken, daß die USA, im Vergleich zu vielen europäischen Staaten, ein Land mit einem erheblich schwächeren Sozialnetz sowie einem sehr teuren Ausbildungssystem ist. Eine Stellung in der Armee bedeutet deshalb bessere Ausbildung und soziale Absicherung, somit die Anerkennung elementarer Grundrechte.
Das Hauptproblem für die Fertigstellung des Filmprojekts lag in der Finanzierung: „Ich denke, ich habe mich so gut wie bei jeder Organisation beworben, die Filme mit homosexueller Thematik unterstützen, aber mit Ausnahme von 3.000 US-Dollar von David Geffen haben wir nichts bekommen.“ Daß unter diesen Umständen die Reportage überhaupt beendet werden konnte, grenzt an ein Wunder: „Wir haben einfach angefangen – ich habe 35.000 Dollar direkt aus meiner Tasche investiert, Suzannes Großmutter gab uns 3.000, ein Freund insgesamt 11.000 Dollar. So kam alles ins laufen – unglaublich“, erinnert sie sich. „Sogar Perry bot uns Geld an, aber wir haben versucht, das strikt zu trennen.“
Im Sommer 1993 noch, nachdem der Film in der endgültigen Rohversion bereits mehreren Fernsehstationen und Gay-Festivals übersendet worden war, drohte das Projekt nach dreijähriger Arbeit zu platzen. Viele zeigten Interesse, doch keiner konnte sich zum Kauf durchringen. Hinzu kam, daß die Co-Produzentin und Kamerafrau Suzanne Newman das Projekt verließ, und Chiqui Cartagena alleine weitermachen mußte. Als der Sender Channel 4, dessen Programm mit dem unserer Dritten Sendern vergleichbar ist, Chiqui Cartagena im Herbst 1993 um eine einstündige Version des Themas bat, ging es wieder ab in den Schneideraum. Im Frühjahr diesen Jahres erhielt sie endlich eine Zusage. Kurz darauf wurde dann der Vertrag unterzeichnet – für 35.000 Dollar. Im September wurde die Perry-Watkins-Story erstmals in England ausgestrahlt. Dies wird Cartagena sicherlich helfen, den Film in den USA zu verkaufen. Die Organisation Frameline, die das „Gay and Lesbian Film Festival“ in San Francisco organisiert, kümmert sich inzwischen um den USA-Vertrieb, und zwei US-Sender zeigten ebenfalls bereits Interesse. Die persönliche Zukunft der Filmemacherin ist jedoch noch ungewiß. Trotz aller Entbehrungen der letzten vier Jahre bereut sie nichts: „Ich würde alles wieder genauso machen.“ Michael Paulus
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