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Archiv-Artikel

HAMBURGER SZENE VON UTE BRADE Eine Frau sieht Rot

Die „Gerschler-Bibel“ wurde mit Blut geschrieben – Tierblut vom Schlachthof, Blutkonserven und Menstruationsblut

Kalt ist es in der Kirche. Und voll. In der Mitte des Altars thront ein überdimensionales Buch: die „Gerschler-Bibel“. Sie wurde mit Blut geschrieben – Tierblut vom Schlachthof, Blutkonserven und Menstruationsblut. Insgesamt 500 Liter hat der Künstler Dieter Gerschler dafür gebraucht, und mehr als 20 Jahre.

Auch die Kirche ist voller Blut. Eine Plane mit rotbraunen Fußabdrücken liegt auf dem Boden, daneben ein mit Blut gefüllter Plastikbeutel und ein Glaskasten mit Spritzen drin. Überall hängen verschmierte Bibelseiten, große und kleine. Ich muss mich erstmal hinsetzen.

Kaum habe ich mich niedergelassen, fragt der Mann neben mir: „Haben Sie sich zu mir gesetzt, weil ich auch eine rote Hose trage?“ Ich sehe an uns herunter: Tatsache – vier rote Beine. Ich schaue mich um, und sehe überall Rot: Handtasche und Lippen einer Frau. Der Mantel einer anderen. Hinter mir ein Schal.

Vorne, neben dem Altar, beginnt ein Mann zu sprechen. Der mit der roten Hose flüstert mir zu, das sei Gerschler. Begeistert spricht der Künstler über das verwendete Material, nennt es ein „sichtbares Symbol für das Leben“ und „kosmisches Rauschmittel“. Nach sprudelndem Leben sieht die braun verkrustete Bibel nicht aus. Mir ist ziemlich schlecht.

Gerschler strahlt, schließt mit einem herzlichen „zum Wohl!“ und hebt sein Glas: Rotwein.