: Eine Art sozialer Voyeurismus
■ Ein Gespräch mit Hanif Kureishi, dem Drehbuchautor von „Mein wunderbarer Waschsalon“ und „Sammie und Rosie tun es!“
Gunter Göckenjan Sammie und Rosie tun es! hatte soeben auf dem Münchner Filmfest Premiere
Respektiere niemanden, der dir Geld gibt“, lautet einer seiner kernigen Sprüche. In einer schwarzen Lederjacke, mehr Design als Protest ... In einem Sessel versunken, die Beine baumeln über die Lehnen. Wir sprechen mit Britanniens neuem Drehbuchwunder Hanif Kureishi, der 1987 für sein Drehbuch zu „Mein wunderbarer Waschsalon“ für den Oscar nominiert wurde.
Nun gibt es wieder einen neuen Film, der wieder in Zusammenarbeit mit Stephen Frears entstanden ist: „Sammie und Rosie“. In der Regel arbeiten Drehbuchautoren eher im Stillen, in der Öffentlichkeit treten sie selten auf. Kureishi ist etwas Besonderes. Er verbindet nicht nur einen auffälligen Sinn für Medienpräsenz und geschickte Selbstdarstellung mit einer ungewöhnlichen Randgruppenbiographie, er hat darüber hinaus noch das Talent, seltsame, zeitgemäße Geschichten in einem angemessenen chaotischen Stil zu erzählen.
Kureishis Drehbücher zeigen Leute, die sich am Rande der Gesellschaft bewegen: „Mich haben Leute, die außerhalb des mainstream stehen, immer interessiert. Vernachlässigte und Machtlose, Leute, die nicht reinpassen, die nicht akzeptiert oder nicht akzeptierbar sind. Wahrscheinlich wegen meiner eigenen Fremdheit.“
Er ist in England geboren, hat in Cambridge Jura studiert, seine Haut ist jedoch dunkel, sein Name indisch: Sein Vater ist Pakistani. Das allein reicht, er wurde ausgeschlossen und diskriminiert. „Die Briten beschweren sich unaufhörlich, daß die Pakistani sich nicht assimilieren. Sie wollten, daß die Pakistani genau wie sie wären. Selbstverständlich hätten sie sie auch dann abgelehnt.“
In der Schule nannte man ihn Pakistani-Pete, und selbst der Lehrer machte sich über ihn lustig. Später warf man ihn aus Bars und Kinos hinaus; er erlebte wie seine ehemaligen Mitschüler, jetzt Skinheads, den neuen Rassistensport Paki bashing (Paki verprügeln) nachgingen. In Zeitschriften entdeckte er die Black Power-Bewegung und James Baldwin. Das war für ihn das Ende der Selbstverleugnung.
Als er in Pakistan die weitverzweigte und angesehene Familie seines Vaters besuchte, gehörte er wieder nicht dazu: „Wir sind Pakistani, aber du, du wirst immer ein Paki bleiben“, sagte dort jemand zu ihm (Paki ist das britische Schimpfwort für seine Landsleute, vergleichbar dem in Deutschland üblichen Kanaken). Man lachte dort, wenn er sagte, er sei Engländer. „Warum sollte jemand mit einem braunen Gesicht, einem Muslimnamen und einer wohlbekannten Familie in Pakistan Anspruch erheben auf die Zugehörigkeit zu dieser kalten, kleinen und altersschwachen Insel jenseits von Europa, wo man auch noch ständig seinen Namen buchstabieren muß.“ In Pakistan gehört seine Familie schließlich zur Führungsschicht des Landes. Sie leben in europäischem Luxus. Schriftsteller sind für sie nur Tagediebe und Nichtstuer.
Wie kam er zum Film? „An Film war ich gar nicht interessiert: In den achtziger Jahren wurde Chanel 4 gegründet, und eine Menge Leute, die ich vom Theater kannte, gingen dorthin, weil sie da besser verdienen konnten. Die fragten mich, ob ich ein Drehbuch schreiben wollte. Ich schrieb es, weil ich arm war. Der wunderbare Waschsalon wurde mit kleinem Budget hergestellt, in sechs Wochen und auf 16'fe2'mm. Darüber war ich sehr froh. Es gab keinen kommerziellen Druck auf uns, da war niemand, der eine Menge Geld investiert hatte und deshalb sagen konnte, was wir tun sollten.“
Sammie und Rosie war sehr viel aufwendiger. In seinem Tagebuch schreibt Kureishi am 6. März: „Nachtaufnahme. Eine Reihe vernachlässigter Häuser und Läden, Asbest vor den Fenstern. Davor Gasfeuer aus in Fensterkästen versteckten Düsen, um den Eindruck zu erzeugen, die gesamte Nachbarschaft stünde in Flammen. Davor explodierende Autos, Löschzüge, Krankenwagen und der Mob aus 200 Statisten, dazu Polizei mit Schilden. Es gibt vier Kameras. Das ist ziemlich massiv für den britischen Film und brillant organisiert. Ich denke an das Skript, da heißt es etwa so: Im Hintergrund geht der Aufruhr weiter!“ Komisches Extra: „Einige Kids, die Randalierer spielen, greifen die Statisten in Uniform auch noch an, nachdem wir die Aufnahmen beendet haben.“
In Drehbuchseminaren lernt man als erste Grundregel: Vor Beginn des Schreibens muß das Ende feststehen. Kureishi jedoch interessiert sich wenig für die lineare Erzählform: „Ich habe beim Schreiben immer Probleme mit dem Ende. Ich beginne mit den Charakteren, und in der Mitte stelle ich fest, daß es ungeheuer schwierig ist, alles zusammenzubringen. Das war beim Waschsalon genauso. Bei Sammie und Rosie gibt es noch mehr Figuren und dadurch noch mehr Schwierigkeiten.“
Gerade so scheint eine offene Form zu entstehen, die den chaotischen Lebensumständen seiner Personen angemesen ist, diese „harmlose Bedrohung durch Unordnung, die Filme wie Waschsalon und Prick Up Your Ears darstellen“.
Er mag auch keine Botschaften. Auf die Frage einer Schauspielerin, was der geplante Film für ein Thema behandelt, sagt Kureishi: „Ich gehöre nicht zu den Leuten, die glauben, daß Stücke oder Filme etwas behandeln sollten.“ Dennoch sollen seine Filme auch didaktisch sein. Wie das? „Indem wir dieses Leben zeigen und nicht irgendein anderes, ist dieser Film didaktisch.“
Dennoch, in den Filmtagebüchern beschäftigt er sich mit seinen Zweifeln. Er fragt sich, ob es gerechtfertigt ist, „daß Leute aus der Mittelschicht, die Medien und Gelder besitzen, kontrollieren und handhaben, Minderheiten und Arbeiterklassematerial benutzen, um andere Mittelschichtler zu unterhalten? Regelmäßig während der Filmarbeiten fühle ich, daß das, was wir tun, eine Art sozialer Voyeurismus ist.“
Urprünglich sollte der Film The Fuck heißen, wegen der drei Geschlechtsakte im Zentrum: „als Rebellion gegen thatcheristische Vornehmheit und Anstand“.
Würde sein Erfolg nicht Frau Thatcher begeistern? „Ja, wir, Stephen und ich, sind eine Erfolgsstory nach Thatchers Geschmack: ein kleiner Betrieb mit einem Produkt, das sich überall auf der Welt verkauft, gleichzeitig würde sie den Inhalt hassen.“
Kein Wunder, denn der wird von den Einstellungen des Autors bestimmt, der glaubt, „daß es eine fließende, nicht hierarchische Gesellschaft geben sollte, mit freier Bewegung zwischen den Klassen, und daß diese schließlich abgeschafft werden, daß Wettbewerb erstickt und eingeengt und daß Autorität mit Argwohn betrachtet und ständig hinterfragt werden soll. Ich sehe Geschäftsleute als Halbkriminelle, ich bin argwöhnisch gegen jeden, der einen Anzug trägt, ich mag Drogen, besonders Hasch, und ich kann nicht verstehen, warum sich Leute die Mühe machen, zu heiraten.“
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