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Eine Alpensatire

■ Markus Köbelis „Holzers Peepshow“ in Konstanz uraufgeführt

Wenn zum etwas zittrrigen Jodelgesang der Vorhang aufgeht, ist alles sehr schön. Die Bauernstube hängt wie eine gestrandete Barke im Berg, eine leibhaftige Gems thront darüber und kann leicht hineinschauen, denn es fehlt das Dach. Nachdem die Holzers, die Bewohner des Idylls, einige Sätze geredet haben, wird jedoch schnell klar, daß alles schön nicht ist. Der Hof auf mittlerer Höhe in den Schweizer Alpen gehört schon längst zu den problematischen Fällen. Alles Beharrungsvermögen der Familie Holzer kann letztlich die Frage nicht verhindern, ob man - „mit nur einer Kuh im Stall“ - überhaupt noch Bauer sei. Das ist die Ausgangssituation für die Komödie Holzers Peepshow des 1956 in Bern geborenen Markus Köbeli, die nun in Konstanz uraufgeführt wurde.

Die eingespielten kleinen Rituale des Alltags helfen, das Familienleben über den Tag zu bringen. Aber die Kinder stören. Sie spüren die Perspektivlosigkeit und sind unruhig. Der Opa ist jenseits von gut und böse. Stumm und taub sitzt er in seinem Rollstuhl, verlebendigt allein durch den Glanz, den sein 90. Geburtstag via Lokalzeitung in die Stube bringt. Das Leben droht mit der Landwirtschaft zu verschwinden. Kreuzworträtsel und Nachrichten aus aller Welt bilden die Welt der Leute im heimeligen Provinznest, wenn nicht völlige Sprachlosigkeit herrscht. Das Matterhorn hat man leider auch nicht zur Verfügung, es ist eben nur die Schabisbachfluh und ein Skilift der vor sich hinkümmert: Die Touristen brummen am Holzerschen Haus vorbei in die höheren Lagen. Busse halten für ein Piss-Pause. Gelegentlich guckt ein Reisender herein, die ferne Kuriosiät der Provinzfamilie zu bestaunen: Das bringt Hans Holzer junior auf die Idee, den Blick durchs Stubenfenster zu vermarkten.

Die Touristen wollen ja sehen, „wie es ist“, also braucht man nur so zu sein wie immer, wenn das Familienleben für ein paar Minuten am Tag zur Schau gestellt wird. Das heißt etwas laufen sollte schon. Man könnte beispielsweise essen. Und ein wenig reden. Was um Himmels willen sagt man bloß beim Essen? Das gleiche wie immer! Und was ist das? Nichts, fast nichts.

Es ist diese familiäre Sprachlosigkeit, die in Konstanz eindeutig die stärksten Publikumsreaktionen hervorruft. Köbeli arbeitet mit Wiederholungen sicherlich auch mit Stereotypen.

Die schauspielerischen Versuche kippen mit der Zeit in die Farce. Der Opa fällt als Untoter durch die Wonnstube, die englische Synchronfassung einer Szene aus Heidi überfordert die Laiendarsteller. Die ebenfalls angebotene japanische Synchronfassung zeigt das Ensemble Holzer im Verfall. Auch dem Stadttheater bleibt hier zeitweise die Luft weg. Die starken Momente der Inszenierung liegen nicht in der Übersteigerung des ländlichen Musters, sondern in dessen Entfaltung. (Nicht korrigiert, weil Fehler so schön! D.L.)

Dieter Kief

Die nächsten Aufführungstermine: 29.6., 30.6., 2.7.

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