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Ein zoon absurdum

■ „Jogotono“ von Jo Fabian in der Volksbühne Berlin

Auch vormalige DDR-Bühnen haben spätestens zum Zeitpunkt der ersten gesamtdeutschen Wahl verstanden, daß, was sich hierzulande avantgardistisch gerieren möchte, möglichst sein Deutschsein vertuscht. Jogotono heißt die neueste Produktion im kleinen Aufführungsraum der Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz. Gleich wird klar, daß es erstmal ein Stück für wenige ist, ein ästhetisches Experiment für Leute mit dem besonderen Geschmack, darüber hinaus vielleicht ein Spiel mit dem Vornamen des in ostdeutschen Landen bekannten Theater-Realisators, des Konzept, Regie und Raum verantwortenden Jo Fabian.

Wie ein seitlich angebrachter Monitor dem Zuschauer eingangs erläutert, hat das Stück in der Tat mit Männerphantasien zu tun. Als Begriff aus der Chaosforschung, der den variablen Zustand eines dynamischen Systems bezeichnet, stellt Jogotono zugleich das Unterbewußte des Menschen dar. Des Mannes natürlich, genau genommen; eines Professors, noch genauer genommen: Jogotono ist dessen psychischer Innenraum.

Wenn ein Mann sein chaotisches Unterbewußtes vorstellt, kommen dabei sieben Frauen heraus. Er ist der Wolf von den sieben Geißlein, von denen er sechs gefressen hat. Das siebente und jüngste, das im Uhrkasten versteckt war, erzählt der heimkehrenden Mutter den Betrug mit der Kreide und der eingemehlten Pfote — so werden die sechs Verschlungenen aus dem Bauch des Vielfraßes befreit.

Das Märchen von den sieben Geißlein wird während der Aufführung von dem einzigen Mann als einer der wenigen deutschen Texte erzählt. Er schlitzt sich symbolisch selbst auf; während er durch eine Art Bullauge im Bühnenhintergrund als Gegenüber des Zuschauers das Bühnengeschehen beobachtet, ziehen unten seine Geschöpfe vorbei, die besagten sieben Frauen. Er rechnet auf seiner einfachen Rechenmaschine ihre Bewegung aus.

Frauenbewegung könnte das Stück also ebenfalls heißen: die Frauen durchqueren gelegentlich einzeln, häufig in geometrischen Formationen, prozessionsartig den Raum. Frauenbewegung, das ist organisierte Arbeit von einer Stunde und 33 Minuten, so definiert der Kommentator die Zeit, die die Inszenierung zu ihrer Abwicklung braucht.

Frauenbewegung, das heißt im Detail: die in rote Samtroben gehüllten Figuren zeigen mal Fähnchen, mal Füßchen, heben eine Augenbraue und legen eine Hand vors Gesicht, tragen einen Fisch oder Vogel, sprechen einen französischen Satz. Sie singen konsonantenlos Kommt ein Vogel geflogen mit Männerstimme, summen Bald ist Nikolaus Abend da an, sie exekutieren stereotype Gesten, einmal wird auch eine von ihnen geköpft. Sie machen ausschließlich absurde Dinge, Frau ist ein zoon absurdum, einförmig und dennoch unfaßbar, an merkwürdigen Objekten hängend, sie kennt keinen geschlossenen deutschen Satz.

Die Bühne ist ein quadratischer Würfel, dessen verschiedene Seiten man in den einzelnen Bildern zu sehen bekommt. Die Punkte sind eins bis sieben Frauen in variablen Konstellationen; frau könnte freilich auch einen rot ausgeleuchteten Käfig mit Kanarienvögeln darin sehen. „I don't know what to do“ — dieser wahrscheinlich bei Gertrude Stein gefundene tiefgründige Satz wird von Frauen als Motto in den Käfig geschrieben — von ihrer ästhetischen Domestizierung verspricht sich Jo Fabian interesseloses Wohlgefallen beim Zuschauer, das Schöne bekanntlich, nach Kant.

Einstens hatte man in Performances die herkömmliche Dramaturgie auf dem Theater gesprengt, um Gewalten sichtbar zu machen, die mächtiger als Wörter geworden sind. Beispielsweise hatte die italienische Gruppe „Magazzini Criminali“ in ihrem Stück Punti di rottura die Fliehkraftdynamik unserer Gesellschaft dargestellt durch Möbel und Menschen, die an Gummiseilen an die Wände schnellten; der Dezentralität des Menschen in der übermächtig gewordenen Objketwelt entsprach eine gewaltsame Musik- und Bilderdramaturgie. Welcher Verdrängungsmechanismus muß heute am Werk sein, daß die Spätprodukte dieser Kunstform aus den Händen von Bob Wilson, Achim Freyer und Jo Fabian nurmehr hübsch ausgeschlagene Schmuckkästchen sind? Nichts vom Bedrohlichen des Wortverlustes ist mehr erfahrbar; unser Unterbewußtes scheint ein von Schneller Wohnen designtes Halogenlichterheim zu sein.

Im Schlußbild stehen die Frauen bis zu den Knien im Bühnennebel, sie sehen wie auf Wolken wandelnd aus, als letztes dürfen sie Gartenzwerge unter ihre Röcke nehmen: schade, daß es das Prädikat „kleinbürgerlich-dekadent“ nicht mehr gibt. Michaela Ott

Jo Fabian: Jogotono Regie, Konzept, Raum: Jo Fabian. Volksbühne Berlin Rosa-Luxemburg- Platz. Nächste Aufführungen: 27. bis 29. 12.

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