: Ein völlig neuer Ehec-Erreger
ERNÄHRUNG Experten entschlüsseln das Genom des aktuell grassierenden Keims: ein komplett neuer Typ. Die verdächtigten spanischen Gurken sind vorerst entlastet
HOLGER ROHDE, BAKTERIOLOGE
HAMBURG dpa/taz | Die verdächtigten spanischen Gurken sind vorerst entlastet: Auch auf zwei weiteren von insgesamt vier in Hamburg getesteten Gurken haben Experten den derzeit grassierenden Ehec-Keim nicht gefunden. Das ergaben Analysen des Bundesinstituts für Risikobewertung in Berlin, sagte eine Sprecherin am Donnerstag. Damit trugen zwar alle vier Gurken in Hamburg Ehec-Erreger – aber eben nicht den Erregertyp O104, der für den derzeitigen Krankheitsausbruch verantwortlich ist: „Keine der vier Proben zeigte den Serotyp O104:H4 des Erregers, der aus den Stuhlproben der Patienten isoliert wurde.“ – „Die Quelle der anhaltenden Infektionen ist noch nicht ermittelt“, erklärte der Präsident des Bundesinstituts, Andreas Hensel. „Es gilt weiter zu klären, an welcher Stelle in der Lebensmittelkette die Belastung mit Keimen erfolgt ist.“
Dem Keim selber sind die Experten mittlerweile besser auf die Spur gekommen. Ärzte am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf haben mithilfe chinesischer Kollegen das Genom des aktuell grassierenden Ehec-Erregers gelesen. „Es handelt sich um eine so noch nie gesehene Kombination von Genen“, sagte Bakteriologe Holger Rohde am Donnerstag. Die neuen Erkenntnisse helfen den betroffenen Patienten allerdings nicht unmittelbar, sondern müssen erst interpretiert werden.
Allem Anschein nach haben für die neue Kombination zwei Bakterienstämme Teile ihrer Erbsubstanz untereinander ausgetauscht. In der Summe entstand ein Escherichia-coli(E.-coli)-Bakterium, welches das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) auslösen kann, erläutert Rohde. Etwa 80 Prozent – Rohde spricht vom „Mutterschiff“ – stammten vom E.-coli-Stamm O104. Die übrigen 20 Prozent wurden von einem anderen Bakterium übernommenen. In diesem Teil des Genoms sind Erbanlagen zur Produktion des gefährlichen Shigellatoxins, das den Patienten jetzt Probleme bereitet.
Bakterien können untereinander Gene austauschen. Mikrobiologen sprechen dabei von Konjugation, man kann den Vorgang aber auch als ursprünglichen, primitiven Sex bezeichnen. Dabei gehen mit Teilen der DNA Eigenschaften eines Keimes auf andere über – es kommt zu Mischformen. Die Keime lagern sich dafür nebeneinander und bilden eine Art Schlauch zwischen sich. So können sie genetisches Material austauschen. Auf diese Weise erwerben Bakterien neue Eigenschaften. „Der neue Keim ist ein Produkt einer ganz normalen bakteriellen Eigenschaft, um sich an seine Umwelt anzupassen“, sagt Rohde. Wo dies geschehen sei – etwa in einem Tier, im Menschen, einer Pfütze, einer Kläranlage oder sonst wo –, lasse sich aber nicht sagen.
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