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Archiv-Artikel

Ein starker Tick

Der Hamburger SV trotzt der eigenen Müdigkeit und gewinnt bei Bayer Leverkusen verdient mit 1:0

LEVERKUSEN taz ■ Michael Skibbe nutzte die Gunst der Stunde. Wäre der Gegner in diesem Spiel der MSV Duisburg gewesen, hätte er wie schon so viele Trainer im Presseraum der BayArena über die stets aufs Neue auftretenden Unzulänglichkeiten von Bayer Leverkusen referieren müssen. Doch beim 0:1 gegen den Hamburger SV gab es etwas zu bestaunen, was viel spannender war als fehlende Durchschlagskraft, den Hang zur Lethargie und zu hoch gesteckte Saisonziele. Er sei enttäuscht, verkündete Skibbe kurz, und dann hob er die Stimme zu einem Loblied auf den Gegner. Der HSV habe diese „unglaubliche Ruhe im Spiel“, sei „defensiv sehr stark“, verfüge über eine „tolle Spielkontrolle“, und sei „in seiner Kompaktheit einfach einen Tick zu stark“ gewesen.

Überhaupt hätte sich der HSV „zu einer echten Spitzenmannschaft entwickelt“, und sei sogar „körperlich überlegen“ gewesen, obwohl er nur 41 Stunden zuvor ein Uefa-Cup-Spiel in Monaco absolviert hatte. „Verdient verloren“, lautete also Skibbes Fazit.

Ein höfliches Lob, dennoch spricht Trainer Doll angesichts des zweiten Tabellenplatzes beharrlich von einer „Momentaufnahme“, von einem „Lauf“ und davon, jetzt leider „zwangsweise Bayern-Jäger“ zu sein. Als glaube er nicht daran, was Skibbe und alle anderen Beobachter des HSV längst ahnen: Dass die Hamburger der laufenden Saison tatsächlich die Stärke besitzen, sich über ein ganzes Jahr in derartigen Sphären halten zu können.

Der Sieg in Leverkusen jedenfalls wirkte definitiv wie das Werk einer echten Spitzenmannschaft. Das Misserfolgserlebnis der 0:2-Niederlage vom Donnerstag in Monaco im Nacken spielten die Hamburger besonnen. Sie agierten ökonomisch, hatten eine gute Raumaufteilung, und sorgten mit wenigen, jedoch schnell vorgetragenen Angriffen für Gefahr. Und wie das so läuft bei Spitzenteams erhöhten sie den Druck, als sich die Partie dem Ende näherte, was nach 82 Minuten in den verdienten Siegtreffer durch David Jarolim mündete.

Unter dem Eindruck dieses Auftretens meinte Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer: „Ich laufe ziemlich lachend hier herum. Das ging noch über die hundert Prozent hinaus“. Er meinte wohl diese kühle Effizienz, diese fast bayernähnliche Siegesgewissheit, die sich die Hamburger im Zuge ihrer vielen Erfolge angeeignet haben. Auch ein Rückschlag wie das schwache Spiel von Monaco erschüttert sie offenkundig nicht.

Doll bezeichnete die Spielansetzung aber trotzdem als Unding. „Duisburg gegen Köln fällt aus, da muss auch ein neuer Termin gefunden werden. Aber bei uns ist das scheinbar nicht möglich“, schimpfte er und wies darauf hin, dass der Sieg von Leverkusen bereits das 29. Pflichtspiel dieser Saison gewesen sei. Es ist schon erstaunlich, dass diese Mannschaft auf Anhieb so problemlos mit den Rhythmus der englischen Wochen fertig wird.

Motivationskünstler Doll hatte jedoch aus der vermeintlichen Ungerechtigkeit der kurzen Erholungsphase einen Vorteil gemacht. Es sei eine „Riesenherausforderung für jeden Einzelnen“, zwei Spiele in so kurzer Zeit zu absolvieren, hatte er den Ehrgeiz seiner Spieler geweckt, und sich außerdem eine kleine Verschwörung zurechtgelegt: „Jeder wollte uns hier reinsingen, wir seien müde und könnten gar nicht gut spielen.“ Also zog man sich für einige Stunden in einen Kölner Wellness-Center zurück, ließ sich von drei Physiotherapeuten und einem Chiropraktiker die Glieder bearbeiten, und Torschütze Jarolim erzählte dann sogar, er habe sich in der zweiten Halbzeit körperlich besser gefühlt als in der ersten.

Ist es angesichts der Leichtigkeit, mit der auch Rückschläge verkraftet werden, nun nicht langsam Zeit, die eigene Stärke anzuerkennen, statt Woche für Woche von einem Lauf zu sprechen? „Da können Sie lange warten, es ist schwer genug, da oben zu bleiben“, antwortete der Trainer auf diese Frage. Er versucht wohl das Selbstverständnis vom überraschend starken Außenseiter noch ein wenig zu bewahren. Der Satz, den er als Nächstes sagte, gewährte aber doch einen kurzen Blick auf seine Träume: „Für Deutschland ist es schön, wenn jetzt ein Bayernjäger hinzu gekommen ist.“

DANIEL THEWELEIT