Ein sportliches Weihnachtsmärchen: Die Waisen aus Fußballland
Wie Bernd I. mit einem Großwesir, Tante Käthe, dem roten Matthias und anderen die Ritter von der traurigen Gestalt wieder zu Helden machen will.
Es war einmal ein braver Mann in seinen besten Jahren. So sah er sich selbst und ging davon aus, dass auch alle anderen in Fußballland ein solches Bild von ihm hatten. Er hat nicht viel richtig gemacht in seinem Leben, aber eben auch nichts, was man ihm hätte vorwerfen können. Gut, er war Sozialdemokrat. Aber es gab eine Zeit in diesem Land, da galt selbst das als ehrenwert. Und wirklich schlimm ist das vielleicht gar nicht. Bei einer Landesfürstin im Westen des Reiches hatte er einen angesehenen Posten und war eine Zeit lang weitgehend unbeachteter Zuarbeiter der Ministerinnen für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport.
Dass er einmal König in Fußballland würde, hätte sich damals wohl niemand vorstellen können. Er selbst wahrscheinlich auch nicht. Nachdem die Landesfürstin von schwarzen Mächten abgelöst wurde, fragte sich der nunmalige König Bernd I. von und zu Neuendorf, was denn nun aus ihm werden solle. Die Antwort war schnell gefunden. Irgendwas mit Fußball. Und so wurde er im Jahre des Herrn 2019 zum Präsidenten des Fußballverbands Mittelrhein. Mittelrhein. Was mag das schon sein, fragt sich so mancher, der nicht vertraut ist mit den Besonderheiten jenes Flickenteppichs aus Landes- und Regionalverbänden, die sich zum Reich des Deutschen Fußball-Bundes zusammengeschlossen haben.
Bernds erste Worte als höchster Würdenträger des mittelrheinischen Fußballfürstentums hat auch den skeptischen Beobachtern die Augen geöffnet: „Der Fußball-Verband Mittelrhein ist im deutschen Fußball ebenso wie in Politik und Wirtschaft als sehr stark aufgestellter und innovativer Verband anerkannt. Wir wollen, dass das so bleibt.“ Wer so weise spricht, wer Visionen so offen angeht, der muss zu Höherem berufen sein. Und so wurde der wackere Bernd keine drei Jahre später zum König in Fußballland gewählt, zum Herrscher über mehr als sieben Millionen Fußballmenschen. Und nun?
Natürlich hat Bernd I. sich zunächst daran gemacht, den Zustand seines Reiches zu erkunden. Es wurde ihm viel gezeigt. Eine neue Zentrale des Bundes gab es. Sie nannte sich Akademie. Die hatte einen Leiter, so schön und smart, dass er gar nicht so recht zum dimpfeligen Namen passte, den er trug, der Bierhoff. Die wichtigste Turniermannschaft wurde von einem Trainer geleitet, der zwar so hieß, wie man Kanarienvögel nennt, aber mit einem Klub aus dem Bundesgebiet alle Titel gewonnen hatte, die es für so einen Klub zu gewinnen gibt.
Eitel Sonnenschein
Die Turniermannschaft der Frauen zog alsbald nach seiner Machtübernahme bei einem kontinentalen Turnier in das finale Spiel ein und eroberte viele Herzen. Und als ein Klub aus der Stadt Frankfurt, in der der Bund seine Burg gebaut hat, nach zahllosen Schlachten eine der wichtigsten Trophäen des Kontinents erobert hatte, waren die Feierlichkeiten so groß, dass nicht nur Bernd glauben musste, in Fußballland, da herrscht eitel Sonnenschein.
Doch nun, da sich das Jahr dem Ende entgegen neigt, steht Bernd I. vor den Trümmern seiner noch so jungen Regentschaft. Die Akademie ist verwaist, ihr Leiter, der auch das Wohl, besser das Wehe der großen Turniermannschaft des Bundes zu verantworten hatte, hat das Haus verlassen. Die Mannschaft ist im Kampf um die Weltherrschaft im Fußball früh gescheitert. Ein textiles Desaster wird allenthalben thematisiert im Bund. Mit einer bunten Binde, die ein Herzchen ziert, wollte Bernd die Mannschaft auflaufen lassen, um zu zeigen, dass in seinem Reich jeder jeden, jede jede und jede jeden sowieso lieben darf, während genau das unten in der Wüste, wo man die Turnierplätze aufgebaut hat, anders ist. Er durfte nicht. Nun ließen sich die besten seiner Turnierritter mit der Hand vor dem Mund ablichten, um zu zeigen, dass man ihnen gegen ihren Willen den Mund verboten hatte. Hohn und Spott wurde über dem Team ausgegossen im Land des Turniergastgebers.
Bernd I. hatte es gut gemeint. Kaum einer der Regenten, die ihm vorangegangen waren, hatte je den Mut, irgendwo mal irgendwas mit Menschenrechten anzusprechen. Vielleicht wussten sie auch gar nicht, dass solche auch im Fußball gelten können. Und jetzt das. Wenn die seinen wenigstens das Turnier gewonnen hätten. Aber niemand hatte ihm gesagt, dass seine Truppe dazu gar nicht in der Lage war. Dieser Bierhoff hatte ihm doch fest versprochen, dass schon alles gut wird. Und nun musste Bernd feststellen, dass gar nichts gut war. Wenn er doch nur etwas von Fußball verstünde, jammerte er und fragte sich, wer ihm wohl helfen könnte, die Burg des Bundes wieder mit Leben zu füllen.
Vielleicht konnte ihm Aki helfen. Der war so etwas wie sein Großwesir. Ein Berater, der aus seinem Klub in Dortmund kennt, wie es ist, wenn man mit großen Plänen in Wettbewerbe startet, um dann doch mit leeren Händen zurückzukommen. Vielleicht kenne der ja jemanden, der jemand kenne, der ein wenig Ahnung habe, dachte sich Bernd und beschloss, fürderhin vor allem auf den Rat von Aki zu vertrauen.
Kalle mit den schönen Beinen
Von nun an konnte Bernd I. wieder besser schlafen. Sie, Aki und er, würden Fußballland zu neuem Glanz führen. Das große kontinentale Turnier stand an. 18 Monate würden noch vergehen bis dahin. 18 Monate, in denen sie die Weisen aus Fußballland befragen würden, wie nun alles besser werden könne. Nur wer waren sie, diese Weisen? Und welche Gaben würden sie mitbringen? Oder wollten sie selbst Gaben haben? Im Fußball wisse man das nie so ganz genau, glaubte Bernd I. zu wissen. Für nichts gibt es nichts, kein Turnier in der Wüste und auch kein Sommermärchen im Land des Bundes. So war das eben.
Er musste an Kalle mit den schönen Beinen denken, an Lodenkalle, an Rolex-Rummenigge. Kaum einer im Land hatte derart viele Ehrenbezeichnungen wie der ehemalige Turnierspieler, der zwar seine Regentschaft über jenen großen Klub aus München niedergelegt hat, aber gewiss immer noch irgendeine Meinung hatte. Ein Ehrenmann ganz sicher, der immer weiter denkt als andere, mindestens jedenfalls bis zum Ende des Tages.
Und da war Tante Käthe. Keine Frau zwar, aber immerhin einer mit einem Frauennamen. Bernd wusste, dass man in diesen Tagen auch an Diversität zu denken hatte, wenn man ein Gremium besetzt. Und Käthe, auch Rudi genannt, war sowieso keine schlechte Wahl. Er war alt und weißhaarig. Und er freute sich gewiss, wieder gefragt zu sein. War er es doch, der die Turnierauswahl des Fußball-Bundes im Jahre 2004 mit einem trefferlosen Remis gegen ein Team aus einem Staat namens Lettland zu einem ihrer größten Tiefpunkte geführt hatte.
Sein Torhüter bei jenem kontinentalen Turnier war der Titan. Auch der war mittlerweile in den Stand der Weisen des Fußballs erhoben worden und leitete den Klub, den jener Lodenkalle zu so vielen Erfolgen geführt hatte. Bernd I. war sich zwar nicht sicher, ob der Titan mit seinen 53 Lenzen nicht ein wenig zu jung für seine Runde war, aber immerhin trug er den gleichen Namen wie das Metall, aus dem so viele Uhren von Rolex-Rummenigge waren.
Auch der rote Matthias, dem man ansehen würde, warum er so genannt wird, wenn er noch Haare auf dem Kopf hätte, war nicht viel älter als der Titan. Er war gefürchtet in ganz Fußballland wegen seiner finsteren Miene. Wenn er sprach, wurde es kalt in Fußballland. Aki kennt und fürchtet ihn als Berater in Dortmund. Auch den Klub aus München hat er einst mit seiner immer miesen Laune gequält. Wenn es damals „Mia samma mia“ hieß im Süden des Bundes, wurde es oft tagelang nicht mehr hell. Bernd und Aki erhofften sich Blitz und Donner vom roten Matthias, der zudem aus dem Osten von Fußballland stammt, was der Diversität des Gremiums nur guttun könne, wie sich Bernd I. dachte.
Als sich nun die Runde der Fußballweisen zum ersten Mal getroffen hat, da wunderte sich Bernd I. von und zu Neuendorf doch sehr. Er zeigte mit dem Finger auf ein hageres Männlein, das sich einen Platz an der Tafelrunde ergattert hatte. Wer das denn sei, fragte er den guten Aki. Einer aus dem Hause derer von den Roten Bullen sei das, meinte Aki. König Bernd nickte, als hätte er verstanden. Dann fragte er doch noch einmal nach, ob das denn alles seine Richtigkeit habe. Doch, doch, so Aki nun, das sei schon richtig. Der sei jetzt immer dabei.
So sei es denn, dachte sich König Bernd nach der Sitzung und schaute sich an seinem mobilen Rechner noch einmal die schönsten Jubelbilder aus dem Heimatland der Turniermannschaft an, die gerade die Weltherrschaft im Fußball angetreten hatte. So viel Freude über den Fußball! Der König war endlich mit sich im Reinen. Er hat ja nun auch wirklich alles dafür getan, damit auch auf dem Gebiet des Deutschen Fußball-Bundes im Jahre 2024 genau solche Bilder zu sehen sind. Ein Traum. Er legte sich die bunte Binde mit dem Herzchen an, von denen er noch einige hatte, ging zu Bett und sank in einen tiefen Schlaf.
Und wenn der König von Fußballland nicht gestorben ist, dann träumt er noch heute.
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